Im Schatten (German Edition)
Weihnachtsfeier hatte zwar schon eine Woche vorher mit den anderen Abteilungen zusammen stattgefunden, doch Valerie fand diese Geste sehr nett. Als Mark dann auch noch kleine Geschenke verteilte, war sie ganz erstaunt. Zwar kommentierte er es zurückhaltend, trotzdem gefiel es ihr.
» Da wir uns ja erst so kurz kennen«, waren seine Worte, »habe ich in diesem Jahr noch keine wirklich persönlichen Geschenke für Sie. Ich hoffe, Sie verzeihen es mir, dass Sie die üblichen Standardgeschenke bekommen, aber ich weiß einfach noch zu wenig von Ihnen, um zu wissen, was Ihnen gefallen könnte.«
So reichte er den Damen jeweils eine Schachtel Pralinen, den Herren eine Flasche Wein. Am Ende der kleinen Feier erklärte Mark seinen Leuten, sie könnten nun, wenn ihre Arbeit erledigt sei, Feierabend machen, obwohl es noch zwei Stunden bis zum offiziellen Dienstschluss waren. Das ließ sich niemand zweimal sagen und so wurde es bald still im Büro. Zwischen den Tagen war die Firma geschlossen, denn auch die Arbeit auf den Baustellen ruhte und die Kollegen hätten ohnehin Urlaub eingereicht. So hatten sich alle darauf vorbereitet, und die Arbeiten waren rechtzeitig fertig geworden. Valerie und Mark waren wie üblich als Letztes übrig, und als sie aus der Küche zurückkam, wo sie die Kaffeemaschine ausgemacht und kurz aufgeräumt hatte, lag ein kleiner Briefumschlag auf ihrer Tastatur. Sie sah irritiert durch die Scheibe zu Mark, der sie beobachtet zu haben schien, doch nun wandte er offensichtlich verlegen den Blick ab und tat so, als hätte er noch etwas zu tun. Ein wenig verwirrt öffnete sie den Umschlag. Darin lag ein silbernes Armband mit einem kleinen Delfin aus Tigerauge, dem Glücksstein ihres Sternzeichens, und auf einem Zettelchen dabei stand: »Möge er Ihre Stärke erhalten, die ich so an Ihnen schätze. Frohe Weihnachten, Mark.« Noch einmal sah sie zu ihm und für kurze Zeit kreuzten sich ihre Blicke. Dann ging sie zu ihm, wenn sie auch nach Worten suchen musste, so überrascht war sie.
» Es ist wunderschön«, sagte sie. Doch dann formulierte sie ihren brennenden Gedanken: »Warum?« Mark zuckte die Schultern.
» Ich weiß nicht. Ich habe es gesehen und dachte, es ist wie für Sie gemacht. Es hat die gleiche Farbe wie Ihre Augen.«
Das stimmte, der Stein, aus dem der Delfin gemacht war, hatte die gleichen Farbschattierungen wie Valeries Augen. Dennoch … Noch einen kurzen Moment blieben sie reglos, bis sie plötzlich einem Impuls folgend zu ihm ging, ihm einen Kuss auf die Wange gab, ein leises »Danke« flüsterte und dann fluchtartig das Büro verließ.
Doch ihre Gedanken kamen nicht zur Ruhe. Nicht an diesem Abend und auch nicht in den folgenden Tagen. Warum um alles in der Welt hatte er ihr ein derart persönliches Geschenk gemacht? Als Einziger aus der Firma? Selbst die Weihnachtsvorbereitungen lenkten sie kaum ab. Es sollte ein ruhiges Weihnachtsfest werden. Von der Anspannung und Aufregung früherer Jahre war nichts mehr geblieben. Geschenke hatte sie schon lange abgeschafft, die Kinder erhielten zwar einen Geldbetrag, Werner und Valerie hingegen schenkten sich nichts mehr.
» Was soll der ganze Unsinn denn?«, hatte Werner immer wieder mürrisch gefragt, wenn er wieder einmal als Einziger ohne Geschenke da gestanden hatte. »Wir haben doch alles, was wir brauchen und wozu soll ich dir irgendein Stinkwasser schenken, was du wohlmöglich gar nicht magst.« Irgendwann hatte dann auch Valerie aufgehört, sich noch die Mühe zu machen, zumal Werner nur selten einen kleinen Anflug von Freude gezeigt hatte. Meistens hatte er nur Kommentare abgegeben, er hätte sich doch gern die Bohrmaschine selbst ausgesucht und seine alten Hemden hätten auch noch gereicht.
In diesem Jahr nun waren die vier Zieglows allein zum Fest. Valeries Mutter war bei ihrem ältesten Sohn eingeladen, Werners Eltern bei seiner Schwester. Mit viel Aufwand zauberte Valerie das Essen, doch es kam trotz aller Bemühungen nicht die rechte Stimmung auf, im Gegenteil. Selbst an diesem Tag konnte Werner es sich nicht verkneifen, bissige Bemerkungen in ihre Richtung abzuschießen:
»Es wundert mich ja direkt, dass dein supertoller Chef dir für heute Abend frei gegeben hat. Man hätte ja direkt annehmen können, dass du ihm noch beim Aufstellen seines Tannenbaums die Hand hättest halten müssen«, sagte er gegen Ende eines eher schweigsamen Essens.
» Na, mit einer Hand hätte er es bestimmt nicht besser hingekriegt.« Mürrisch
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