Im Schatten (German Edition)
Mutter sicherlich gut gekannt hatte? Mit Mark, dem neuen Chef, oder vielleicht mit Thomas, mit dem es ja offensichtlich Probleme gegeben hatte? Der Zufall nahm ihr die Entscheidung ab, denn als sie gerade entschlossen die Eingangstür öffnen wollte, kam ihr der Letztgenannte auf seinem Weg in den Feierabend entgegen. Nach einer knappen Begrüßung fragte sie ihn kurzentschlossen, ob er wohl einige Minuten Zeit für sie hätte und so gingen beide wenig später langsam und ohne festes Ziel die Straße entlang. Katherine erzählte ein wenig zögerlich, sie sei noch immer auf der Suche nach Gründen für die unfassbare Tat ihrer Mutter und würde gern nähere Einzelheiten zu der Arbeit in dem Architekturbüro erfahren. Wortkarg wie immer hörte Thomas zu und meinte dann nur, er wüsste nicht viel zu erzählen. Valerie sei ja schon lange in der Firma gewesen, hätte immer gute Arbeiten abgeliefert, wäre bei den Kollegen hoch angesehen und beliebt gewesen, und im Übrigen sei ihm nichts aufgefallen.
» Aber Sie hatten doch mal Probleme miteinander.«
Fast ein bisschen erschrocken sah er sie an, doch dann winkte er ab.
»Probleme ist wohl nicht der richtige Ausdruck. Ich hab mich mal darüber geärgert, dass sie sich in mein Projekt eingemischt hat, aber schließlich haben wir es aus der Welt geschafft.«
*
10 . Januar 2007
Manchmal gibt es Situationen im Leben, da kannst du dich drehen, wie du willst, du hast immer verloren, obwohl du selbst nicht im Mindesten dazu beigetragen hast. Die Sache mit Thomas zum Beispiel. Er war stinksauer auf mich und je mehr ich versuchte, mich aus der Sache zu befreien, umso tiefer rutschte ich ab. Dabei habe ich doch nichts weiter getan, als Anweisungen vom Chef zu befolgen. Was hätte ich denn tun sollen?
Unvermittelt wurde Valerie in Marks Büro gerufen. Er machte einen ziemlich unzufriedenen Eindruck, obwohl er sie wie immer freundlich lächelnd hereinbat. Sehr schnell kam er zur Sache:
» Ich brauche Sie auf einer unserer Baustellen. Es gibt Ärger mit einem Gewerk und ich kann mich nicht selbst darum kümmern.«
Valerie nickte und fragte kurz, um welche Baustelle es sich handelte, doch als Mark ihr die Adresse nannte, sah sie ihn erstaunt an. Es war ein Bürokomplex mit aufwendiger moderner Architektur, die den einzelnen Handwerksbetrieben einigen an Können abverlangte. Und er gehörte nicht zu den von Mark entworfenen und betreuten Projekten.
» Das ist Thomas’ Baustelle. Darum müsste er sich doch kümmern.«
» Ich weiß.« Mark sah sie eine kleine Weile unschlüssig an, als überlegte er, wie er es erklären sollte, doch dann fuhr er in festem Ton fort:
» Thomas ist manchmal ein wenig unentschlossen, nicht hart genug. In diesem Fall, fürchte ich, würde er nicht viel erreichen.«
Es stimmte. Thomas war ein guter Architekt, doch Durchsetzungs vermögen gehörte nicht gerade zu seinen Stärken.
» Um welches Gewerk handelt es sich denn?«
» Die Zimmerleute«, antwortete Mark und erklärte kurz das Problem, doch Valerie war einigermaßen geschockt.
» Die Zimmerleute? Sie wissen, was das für Kerle sind, oder? Das sind Schränke von durchschnittlich zwei mal zwei Metern.«
» Sie sollen mit den reden, nicht boxen.« Mark lächelte sie aufmunternd an.
» Trotzdem«, entgegnete Valerie. »Die nehmen doch so einen kleinen Pups wie mich gar nicht ernst.«
» Ich denke doch, Valerie. Sie sind eine resolute Frau und ich bin sicher, sie werden mit jedem Mann fertig, selbst wenn sie in Rudeln auftreten.«
Während Mark sie noch immer anlächelte, verzog sie skeptisch das Gesicht.
»War das jetzt eine Beleidigung oder ein Kompliment?«
» Ich würde Sie nie beleidigen. Zum einen besteht dafür kein Grund, zum anderen mag ich Sie viel zu sehr.«
Mit einem etwas flauen Gefühl im Magen, dass nicht nur von der bevorstehenden Aufgabe herrührte, machte Valerie sich auf den Weg zur Baustelle. Den ganzen Weg über legte sie sich Worte zurecht, mit denen sie die Zimmerleute überzeugen wollte, doch ihre Gedanken wurden immer wieder unterbrochen, wenn ihr Marks letzte Worte durch den Kopf schossen. Warum nur verschwendete sie so viele Gedanken an ihn? Auf der Baustelle angekommen fragte sie sich schnell zu dem Chef der Zimmerleute durch und erkundigte sich nach dem Problem. Dieser erklärte ihr kurzerhand, die Arbeiten wären wesentlich umfangreicher, als angenommen, und sie würden mit den vereinbarten Zeiten und Preisen nicht hinkommen. Ungerührt von den
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