Im Schatten von Montmartre
und blieb vor mir stehen, so als sei sie unentschlossen.
„Könnten Sie sich vielleicht fünf Minuten lang
für etwas anderes interessieren?“
„Wofür zum Beispiel?“
„Dafür!“
Sie beugte sich zu mir herunter. Ihr Gesicht
berührte beinahe meines. Ihre blauen Augen wurden um mehrere Töne dunkler. Wenn
sie vierzig Jahre alt war, so sah man es in diesem Augenblick nicht. Und wenn
auch! Mit vierzig beginnt das Leben...
Ihr Morgenrock öffnete sich, und ich sah die
dunkle Linie zwischen ihren Brüsten. Ein intensiver Parfümduft hüllte mich ein.
Ich nahm Suzanne in meine Arme, und unsere Lippen fanden sich. Ihre schmeckten
nach Himbeeren. Dann befreite sie sich sanft aus meiner Umarmung, trat einen
Schritt zurück, ließ ihren Morgenrock fallen und sagte mit gedämpfter Stimme:
„Sehen Sie! Wir sind alle entweder
Exhibitionisten, Voyeure oder Fetischisten. Ich habe Strümpfe mit Naht
angezogen...“
* * *
Wir lagen auf dem Rücken und rauchten
schweigend. In dem Lichtkegel, den die Nachttischlampe an die Decke warf,
vermischte sich unser Rauch in vergänglichen, sich ständig wandelnden Arabesken.
Irgendwo draußen in der Nacht schrien Katzen. Suzy hatte ihren Arm über meine
Brust gelegt. Woran sie dachte, weiß ich nicht.
Ich jedenfalls hatte die Gedanken eines
richtigen kleinen zufriedenen Arschlochs. Wie kann ich mich aus dem Staub
machen, ohne einen zu flegelhaften Eindruck zu hinterlassen?, fragte ich mich.
Ich hatte nämlich nicht die geringste Lust, bis zum Morgengrauen hierzubleiben
und womöglich auch noch einzuschlafen.
Sie hatte sich mit ihren blauen Augen Hals über
Kopf in mich verguckt, die Suzy mit den ebenso blauen Haaren. Ich bin keine
größere Beleidigung fürs Auge als andere, ganz im Gegenteil. Aber daß jemand so
blitzartig Feuer und Flamme fängt, das bin ich nicht gewohnt. Das
überfallartige Abenteuer überraschte mich... und es beunruhigte mich. Ich
konnte mich des Eindrucks nicht erwehren, daß es sich hierbei um eine Reihe von
üblen Machenschaften handle, die mich von zu Hause fernhielten, während in der
Zwischenzeit eingebrochen wurde, zum Beispiel in meiner Agentur. Absurd, aber durchaus
möglich. Nein, ich wollte lieber nicht einschlafen! Ich mußte nämlich auch an
die Behandlung denken, die der zukünftige Henri III. dem Liebhaber seiner
Schwester Margot hatte angedeihen lassen. Vorsicht! Lassen wir uns nicht
täuschen! Ein hübscher Dolchstoß zwischen die Schulterblätter... Sicher,
Margots Liebhaber hatte nicht grade tief und fest geschlafen, aber trotzdem...
Suzy nahm ihren Arm von meiner Brust, drehte
sich auf die Seite und stützte sich auf einen Ellbogen, eine Wange in der Hand.
Sie sah mich ganz merkwürdig an und flüsterte:
„So, jetzt mußt du gehen.“
„Wie bitte?“
„Du mußt gehen.“
Eine komische Heilige, wie gesagt! Und ich, ich
war ebenfalls ein komischer Heiliger. Jetzt, da man mich rausschmeißen wollte,
wäre ich gerne geblieben!
„Erwartest du noch jemand anders?“
„Sei nicht blöd, und werd nicht bissig.“
„Schon gut, entschuldige. Aber das trifft mich
so plötzlich.“
„Du kannst ja wiederkommen, wenn du willst. Aber
du wirst nicht wollen. Männer kommen nie zurück. Sie sind sofort gekränkt.“
Sie stieß ein bitteres Lachen aus, stand auf,
warf sich ihren Morgenrock über und setzte sich auf die Bettkante.
„Gekränkt!“ rief sie. „Scheiße! Was wollen die
Männer hinterher immer? Schlafen wollen sie oder ihren Geschäften nachjagen.
Sieh mal, meinst du, ich beobachte dich nicht schon seit ‘n paar Minuten? Du
siehst nachdenklich aus, besorgt. Dein Laden hat dich wieder. In deinem Kopf
geistert wieder dieser Raphanel herum.“
Sie schwieg. Ihr stummer Blick verlangte nach
einer Bestätigung ihrer Vermutung. Ich sagte nichts.
„Schlafen oder an ihre Geschäfte denken“,
wiederholte sie achselzuckend. „Nun, durch mein Verhalten erleichtere ich den
Männern das Ganze. Dafür sollten sie mir dankbar sein, findest du nicht auch?
Aber nein, Monsieur ist gekränkt. Du doch auch, stimmt’s? Du bist beleidigt,
hm?“
„Überhaupt nicht“, widersprach ich. „Ich
verstehe vollkommen...“
„Von wegen! Also, kurz und schmerzlos: Ich kann
die Anwesenheit eines Mannes hinterher nicht ertragen! Vielleicht ist das
pathologisch, aber ich werde deshalb nicht zu Trivaux rennen, meinem Freund,
dem Psychoanalytiker. So, jetzt weißt du’s. Bist du sehr böse?“
„Überhaupt nicht“, beteuerte ich noch
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