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Im Schatten von Montmartre

Im Schatten von Montmartre

Titel: Im Schatten von Montmartre Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Léo Malet
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und ich.“
    „Ja, den von Brüderchen und Schwesterchen“,
konterte sie. „Kennen Sie Trivaux, M’sieur Ness? Monsieur Trivaux ist
Psychoanalytiker.“
    „Ich versuch’s“, sagte der Bärtige
selbstgefällig. „Und was Charlie angeht...“
    In reichlich nebulösen Begriffen beschrieb er
die „affektive Affektion“, an der Charlie litt, und redete von „Exhibitionismus
als Schutzmechanismus“.
    „Das ist wie bei bestimmten Transvestiten. Oder
wie bei denen, die die Bilder von anderen signieren. Klassischer
Exhibitionismus. Übrigens ist jeder von uns entweder Exhibitionist oder Voyeur.
Das ist dasselbe, nur andersherum. Inversion „Und diejenigen, die Romane
signieren, die andere geschrieben haben?“ fragte ich dazwischen, um seinen
Redeschwall zu stoppen.
    Er blitzte mich wütend an, sein Bart zitterte.
    „Sie halten sich wohl für sehr pfiffig, was? Von
dem Problem der Ghostwriter rede ich nicht.“
    „Bitte keinen Okkultismus!“
    Darauf konnte er nichts erwidern. Er drehte sich
auf dem Absatz um und verschwand in der Menge. Suzanne Larcher prustete laut
los.
    „Also, ich hab für heute genug“, sagte sie dann.
„Begleiten Sie mich nach Hause? Da können wir the last trinken.“
     
    * * *
     
    „Wie schön, nach Hause zu kommen!“ seufzte sie,
als wir wieder in der Rue de Coulmiers waren. „Mixen Sie uns eine Erfrischung?
Ich geh schnell nach oben und zieh mich um. Hab das Gefühl, daß die Haut in
diesen Beinkleidern nicht atmen kann.“ 1
    Sie entschwand nach oben. Anstatt mich in einen
Barkeeper zu verwandeln, verließ ich das Atelier und ging in die zweite Etage
hinunter. Das alte Haus lag in tiefem Schlaf. Kein Laut unterbrach die Stille.
    Ich steckte meinen Pfeifenreiniger-Dosenöffner
in das Schloß der Tür, an der Raphanels Visitenkarte hing. Wenn er zu Hause
war, würden wir etwas zu lachen bekommen. Es j hätte mich aber gewundert. Das
Ganze war doch ein Trick. Die Visitenkarte hatte nur den Zweck, den Briefkasten
unten im Flur zu rechtfertigen. Eine kleine Inspektion der Wohnung konnte
jedoch nicht schaden.
    Das Schloß gab nach. Ich trat ein und ließ die
Tür angelehnt. Drinnen war es dunkel und staubig. Die Dunkelheit klebte wie ein
Fliegenfänger, und es stank förmlich nach Verwahrlosung. Der Strom war
glücklicherweise nicht abgeschaltet. Ich machte Licht. Eine nackte Glühbirne
beleuchtete einen Tisch und zwei Stühle, auf denen seit einhundert Jahren
niemand mehr gesessen hatte. Und die Fenster samt Läden waren seit
einhundertfünfzig Jahren nicht mehr geöffnet worden.
    Ich besichtigte die anderen Zimmer. Überall das
gleiche Bild. Plötzlich hatte ich das Gefühl, daß jemand hinter mir stand. Ich
drehte mich um.
    Suzanne Larcher, in einen Morgenrock gehüllt,
stand in einer Verbindungstür und musterte mich mit amüsierter Verblüffung.
    „Was für ein Kerl!“ rief sie. „Kann man Sie denn
keine zwei Minuten aus den Augen lassen? Hab mir doch gleich gedacht, daß Sie
hier herumschnüffeln. Dieser Raphanel scheint Sie ja mächtig zu beschäftigen,
was? Haben Sie denn einen Schlüssel?“
    Ich legte einen Finger auf meinen Mund.
    Leiser! Sie wecken die Nachbarn auf.“
    „Dieses Haus hat dicke Wände. Aber sagen Sie
mal... So eine Enttäuschung! Ein trostloser Anblick. So stellt man sich einen
Tatort vor, nicht wahr?“
    Schaudernd legte sie ihre Hand auf meinen Arm.
    „Dann ist Raphanel also noch gar nicht
eingezogen?“
    „Sieht nicht so aus. Los, verschwinden wir!“
    Ich knipste das Licht aus, und wir verließen den
ungastlichen Ort. Mein Pfeifenreiniger trat wieder in Aktion, allerdings für
die entgegengesetzte, die schließende Tätigkeit.
    „Ach, das ist also Ihr Schlüssel!“ platzte
Suzanne heraus. Es schien ihr einen Riesenspaß zu machen.
    Wir gingen wieder in ihr Atelier zurück.
    „Also, bei Ihnen muß man auf alles gefaßt sein!“
bemerkte sie, während sie die Drinks bereitete. „Sind Sie nun Detektiv oder
Einbrecher?“
    „Beides“, antwortete ich aus meinem Korbsessel
heraus. „Was ist eigentlich mit Ihrem Concierges-Paar los? Kennen Sie die
beiden gut?“
    „Sie heißen Maillard. Sind seit etwa einem Jahr
hier. Mehr weiß ich auch nicht.“
    „Jung und knapp bei Kasse, nehme ich an. Das
heißt: leicht zu bestechen. Unser Raphanel kennt entweder sie oder den
Eigentümer.“
    „Ach, vergessen Sie doch mal für einen Moment
die Wohnung im zweiten Stock!“ sagte Suzanne vorwurfsvoll.
    Sie stellte die Gläser in Reichweite auf den
Tisch

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