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Im Schatten von Montmartre

Im Schatten von Montmartre

Titel: Im Schatten von Montmartre Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Léo Malet
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rechtzeitig
bremsen konnte. Anstatt mein Gesicht zu treffen, knallte sie gegen die Wand.
    Aber nicht nur das Geheul und die Flüche von
Beinchensteller spielten die Begleitmusik zu seinem Skalptanz. Es hörte sich so
an, als würde Marquini dem lüsternen Paulot ordentlich den Marsch blasen. Doch,
es ging mächtig bewegt zu! Eilige Schritte wie Pferdegetrappel übertönten den
Radau: Der weißhaarige Boß kam angerannt, um für Ruhe und Ordnung zu sorgen.
    Plötzlich merkte ich, daß Beinchensteller mich
mit Schlägen und Tritten traktierte. Hatte wohl seine Sondereinlage mit der
Wand noch nicht verdaut. Ich kroch auf allen vieren über den Boden, und es
hagelte nur so auf meinen Rücken und meine Nieren ein. Zum Abschluß traf mich
sein Schuh im Gesicht.
    „Aufhörn!“
    Er hörte auf. Die heisere Stimme des Piraten
schnauzte die wildgewordene Bande an. Nach und nach glätteten sich die Wogen,
und es kehrte wieder Ruhe ein. Man stellte mich auf die Beine, die sich
anfühlten wie Leberpastete. In meinem Schädel dröhnte es disharmonisch wie in
einem verstimmten Klavier...
    ...Eins von beidem. Entweder ich hatte Flügel,
oder man schleppte mich irgendwohin. Meine Füße schwebten über dem Boden. Um
mich herum herrschte übel riechende Finsternis. Schwarz... Schwarz... Mein
Gott! Das schwarze Kleid... Die dunkle, aufregende Schöne... War es nicht
besser so? Auf jeden Fall war es ein Schritt voran. Alles weitere würde sich
finden. Im Augenblick: ein enger Kreis von Zuschauern, ein Kreis von
Vertrauten. Später dann: das große Publikum, das Volk! Und was will das Volk
sehen? Brüste und Hintern will es sehen!
    Der Schein einer Taschenlampe tanzte vor meinen
Augen. Eine Tür quietschte in ihren rostigen Angeln. Kino. Alles nur Kino!
    „Da rein!“ befahl mein Begleitschutz.
    „Da rein“, das war ein Keller, in den durch ein
vergittertes und mit Spinnweben verhangenes Glasfenster schwaches Licht fiel.
Ein richtiger Kerker. Ich stolperte. Das bewies, daß ich auf eigenen Füßen
stand. Ein Strohsack fing mich auf. Die Tür wurde geschlossen, ein
Vorhängeschloß schnappte zu.
    Endlich alleine!
    Nestor Burma in einer Cinemascope-Produktion: Die
Eiserne Maske. Nestor Burma, der neue Mann mit der eisernen Maske und einem
furchtbaren Geheimnis. Ebenfalls im Programm: Rita Cargelo bei den
Gangstern; Rita und Paulot, Szenenbild. Eine sehr schlechte Szene!
    Wie eingebildet sie sind, diese Filmstars! Sie
hätte mir ruhig guten Tag sagen können, eben, als sie mir in die Arme gelaufen
war.
    Ich streckte mich auf dem Strohsack aus, und
beinahe sofort wurde abgeblendet.

Ausbruch
     
     
    Als ich mit höllischen Kopfschmerzen wieder
aufwachte, war der Tag bereits ziemlich fortgeschritten. Helles Sonnenlicht
drang durch das Kellerfenster. Es war eine blasse Nachmittagssonne.
    Ich stützte mich auf meine Ellbogen. Neben der
Tür — einer richtigen Tür, nicht eine dieser kellertypischen Lattentüren — standen
ein voller Wassereimer und ein wackliger Hocker, auf dem ein paar Sandwiches
lagen. Waren wohl angeschleppt worden, während ich geschlafen hatte. Nun ja,
die bösen Buben waren keine schlechten Kerle! Man durfte sie nur nicht
verärgern, das war alles.
    Ich stand auf und machte ein paar Schritte auf
dem gestampften Boden. Ich fühlte mich wie der Boden: zerstampft. Meine Beine
taten’s wieder, aber mein Rücken und die Nierengegend...! Na ja, ich hatte mich
schon in weitaus üblerer Verfassung kennengelernt. Ich nahm eins der Sandwiches
vom Hocker und biß herzhaft und ohne Furcht hinein. Es lag bestimmt nicht in
der Absicht der Gangster, mich zu vergiften. Was sie wollten, war lediglich,
den dynamischen Detektiv eine Weile aus dem Verkehr zu ziehen. Wahrscheinlich
mußten sie irgendeine Sache regeln und konnten mich dabei nicht gebrauchen.
    Ich verdrückte das Sandwich und goß Wasser nach.
Meine Pfeife suchte ich vergebens: Die Schweine hatten sie mir weggenommen.
    Ich trat an das Kellerfenster und stellte mich auf
die Zehenspitzen. So konnte ich gerade durch die Öffnung sehen. Ich befreite
die Scheibe von den Spinnweben und warf einen Blick nach draußen. Die
verrostete, schrottreife Karosserie eines ausrangierten Wagens versperrte mir
die Aussicht. Wie zur Begrüßung schickte eine unsichtbare Lokomotive ihren
sehnsuchtsvollen Pfiff zu mir herüber. Dann hüllte sich alles wieder in
Schweigen.
    Und dieses Schweigen kam mir nach einer Weile,
die ich — schweigend — auf dem Strohsack sitzend, den Kopf voller

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