Im Schatten von Montmartre
Fluchtgedanken,
verbrachte, dieses Schweigen kam mir plötzlich recht merkwürdig vor. Ich hatte
das Gefühl, daß ich ganz alleine in dem großen Gebäude war. Also war es nicht
der richtige Augenblick, um untätig herumzusitzen und womöglich wieder
einzuschlafen.
Ich ging zu der massiven Kellertür und
untersuchte das Schloß. Eine Brechstange oder ein Hammer mußten genügen, um es
zu zertrümmern. Ich hatte nicht mehr zu tun, als mir diese Werkzeuge zu
besorgen. Leider lagen in diesem verfluchten Keller nur ein paar — fünf! — Stück
Kohle herum. Doch hier in der Gegend mußte es eigentlich von Eisenstangen nur
so wimmeln, überlegte ich mir. Vielleicht lag direkt vor dem Fenster in
Reichweite ein geeignetes Stück herum.
Aus irgendeinem geheimnisvollen Grund hatte man
die Fensteröffnung früher einmal verglast. Der Rost hatte den Schieberiegel
fest im Griff, so daß man ihn nicht bewegen konnte. Es gab nur eine
Möglichkeit: die Scheibe zu zertrümmern! Gedacht, getan. Ich zog einen Schuh
aus und ließ das Glas splittern. Der Lärm lockte niemanden an, aus keiner
Richtung.
Ich zog den Schuh wieder an und entfernte die
gefährlichen Glasreste, die noch im Rahmen steckten. Dann nahm ich das nächste
Hindernis, die Gitterstäbe, unter die Lupe. Sie standen zwar recht weit
auseinander, doch das reichte nur, um einen Arm hindurchzuschieben. Ich packte
einen der Stäbe und rüttelte an ihm. Er war fest verankert.
Neulich hatte ich einen Film gesehen (mit Rita
Cargelo übrigens, sieh mal einer an!), in dem genau diese Maßnahme dem jungen
Helden zur Flucht verholfen hatte. Er hatte an einem der Gitterstäbe seines
Kerkerfensters gerüttelt und ihn so aus der Verankerung gerissen. Nun, entweder
verfügte ich nicht über die richtige Rütteltechnik, oder aber die Szene war
nicht in diesem Keller gedreht worden. Mein Gitterstab jedenfalls ließ sich
keinen Zentimeter vom Fleck bewegen.
Daran sollte es nicht scheitern!
Ich rollte den Strohsack unter das Fenster und
kletterte auf das weiche Podest. So konnte ich den Arm weiter hinausstrecken.
Doch all das war für die Katz. Meine Hand fand nichts, was sich zum Zerschlagen
des Türschlosses geeignet hätte.
Da entdeckte ich neben dem Schrottauto, das mir
die Sicht versperrte, in etwa zwei Meter Entfernung ein verrostetes
Winkeleisen. Es war an einem Ende abgeflacht und am anderen von Rost
zerfressen, beinahe stachlig. Dieses angriffslustige Ding hätte mir bei meinem
Vorhaben prima dienen können. Aber wie sollte ich drankommen? Sekundenlang
starrte ich es wie hypnotisiert — oder um es zu hypnotisieren — an... Da hatte
ich eine Idee.
Wieder zog ich einen Schuh aus. Nestor Burma mit
seiner originellen Schuh-Striptease-Nummer! Doch jetzt brauchte ich nicht den
Schuh, sondern die Schnürsenkel und einen Strumpf. Ich stopfte ein paar
Kohlestücke in den Strumpf, verschloß ihn mit einem Schnürsenkel, verlängerte
diesen mit seinem Gegenstück — und die Harpunenjagd konnte losgehen!
Gegen die Kellerwand gepreßt, einen Arm weit aus
dem Fenster, schleuderte ich meinen Mini-Kohlensack in Richtung Winkeleisen.
Der Erfolg des Manövers war nicht besonders
überzeugend. Ich hörte auf, meine Fehlversuche zu zählen.
Irgendwann jedoch klappte es. Durch einen guten
Wurf oder rein zufällig legte sich der Nikolaus-Strumpf genau hinter die
Zielscheibe. Die Nylonfasern verfingen sich am zerfressenen Ende des Eisens.
Achtung, auf gepaßt! Ich mußte es langsam zu mir
heranziehen, geduldig, behutsam... Ich zog langsam und vorsichtig... Das
Winkeleisen bewegte sich. Ich zog weiter... Prima! Es war mir gelungen, es
zwanzig Zentimeter in meine Richtung zu bewegen. Langsam, aber sicher...
Plötzlich spürte ich keinen Widerstand mehr, und
der gefüllte Strumpf kam alleine auf mich zu, kleinlaut, verlegen, so als
schäme er sich seines Mißerfolgs. Na schön! Rom ist nicht an einem Tag erbaut
worden. Paris auch nicht. Ich fing wieder von vorne an, versuchte es immer und
immer wieder. Der Strumpf hakte sich fest, der Strumpf löste sich... Doch mit
jedem Festhaken gewann ich einige Zentimeter.
Schließlich hielt ich das verdammte Stück Eisen
tatsächlich in der Hand. Ein schönes Stück, schwerer, als ich gedacht hatte.
Inzwischen war es Nacht geworden. Die Aktion
hatte mich mehr ermüdet als ein Tag auf dem Bau. Ich setzte mich auf den
Strohsack, um Strumpf und Schuh anzuziehen und die Schnürsenkel wieder durch
die Löcher zu ziehen. Gleichzeitig erholte ich mich ein
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