Im Schatten von Montmartre
Brückenbögen, die sich gegen den relativ hellen Nachthimmel
abhoben.
Ich erkannte die Gegend wieder. Ich war schon
einmal hier gewesen, damals, als es um eine vergiftete Radiosprecherin gingAuf
der anderen Seite der Bahnlinie lag Châtillon-sous-Bagneux. Die erste Straße
rechts führte zur Porte d’Orléans.
Mitternacht war kaum vorbei, als ich hundemüde,
aber überglücklich in meinem eigenen Bett in der Rue de Mogador lag.
10
Ein
Reeder driftet ab
Am nächsten Morgen um acht Uhr erwachte ich,
frisch wie ein Minister. Meine erste Arbeit nach dem Kaffee bestand darin, die
Akten aus der Räuberhöhle zu studieren.
Außer drei Exemplaren eines freizügigen Magazins
zur Entdeckung vielsagender Sterne befanden sich rund zehn Zeitungsartikel
darunter, die sich mit der bevorstehenden „Hochzeit des Jahrhunderts“ befaßten:
mit der Hochzeit des internationalen Filmstars Rita Cargelo und des reichen,
allseits bekannten Reeders Louis Rigaud (links im Bild).
Fotos machten übrigens den größten Teil meiner
Beute aus. Ein ganzer Stapel: Negative, so schwarz wie manche Seelen, und
Abzüge, so glänzend wie Stahlklingen. Hübsche, neue Fotos, freigegeben ab
achtzehn Jahren, von dem schönen Araber, den wir bei den Gangstern schlafend
überrascht hatten, und von Rita Cargelo, als Star natürlich, wie nicht anders
zu erwarten.
Ich schüttete mir etwas Wasser ins Gesicht,
rasierte mich, trank noch einen Schluck Kaffee, zündete mir ein Pfeifchen an
und wählte Hélènes Privatnummer.
„Hallo, ich bin’s!“ meldete ich mich. „Es könnte
für Sie von Interesse sein, ins Büro zu kommen! Ich bin nämlich früher zurück
als erwartet.“
„Ach ja?“ erwiderte Hélène. „Meinen Sie, wenn
Sie nicht da sind, vernachlässige ich meine Arbeit? Mein lieber Chef, als wir
das letzte Mal miteinander telefonierten, hatten Sie nicht so eine große
Klappe!“
„Da war ich auch in den Händen von Gangstern.
Sie hatten mich gekidnappt, wie einen Säugling. Aber ich bin ihnen entwischt.“
Ich berichtete ihr von meinem Abenteuer.
„Tolle Leistung!“ rief sie. „Zum Glück können
Sie sich jetzt so richtig ausruhen.“
„Ach! Und warum?“
„Wir haben keine Klienten mehr. Keine, im
Plural.“
„Was erzählen Sie da?“
„Die Wahrheit. Gehen Sie ins Büro und sehen Sie
in der obersten Schublade meines Schreibtischs nach. Dort finden Sie nämlich,
was ich gestern mit der letzten Post erhalten habe: Einen Gepäckschein von der
Gare de Lyon. Gewöhnlicher Briefumschlag ohne Absender, Poststempel vom
Boulevard Diderot. Ich glaube, das sind die Nippesfiguren von Dr. Clarimont,
besser gesagt, ein Teil davon, um die Verhandlungen in Gang zu bringen. Der
Fall wäre also so gut wie erledigt. Nun zu Raphanel. Er hat bei der Concierge
einen Umschlag mit fünfhunderttausend alten Francs und einem Brief hinterlegt
oder hinterlegen lassen. In dem Brief dankt er Ihnen ganz herzlich für all Ihre
Bemühungen, hält es jedoch für unnötig, die Ermittlungen, mit denen er Sie
beauftragt hat, weiterzuführen. Daher die fünfhundert Riesen, für Ihre Auslagen
und andere Umstände oder so. Fünfhunderttausend! Nicht schlecht, was?“
„Das ist sogar sehr gut! Besser, als Sie sich
denken können. Schön! Kreuzen Sie baldmöglichst hier auf. Bis gleich!“
Ich ging hinunter in die Agentur, um mir die
Neuigkeiten von nahem zu besehen. Der Gepäckschein sah aus wie ein
Gepäckschein. Ich legte ihn in meine Brieftasche. Raphanels Schrieb wanderte
ebenfalls in meine Brieftasche. Aus persönlichen Gründen halte ich es für
besser... Ja. Fünfhunderttausend alte Francs. Monsieur Raphanel kam es auf
ein halbes altes Milliönchen nicht an. Und dennoch konnte der Mann einem leid
tun.
Ich grübelte noch über dieses Thema nach, als
Hélène ins Büro trat.
„Erzählen Sie doch noch einmal“, forderte sie
mich auf. „Ihr Abenteuer ist wirklich äußerst interessant.“
Ich garnierte meinen Bericht mit Kommentaren,
Vermutungen und verschiedenen Schlußfolgerungen und genoß die Verblüffung
meiner Sekretärin. Dann ließ ich sie mit ihren erstaunten Augen alleine und
fuhr zu dem Bahnhof, von dessen Gepäckaufbewahrung der Schein stammte.
* * *
Der Eisenbahnbeamte am Gepäckschalter war ein
aufgeweckter, freundlicher Junge. Mit meinem Schein bewaffnet, begab er sich in
die Tiefen der Ablagefächer. Als er mit einem schäbigen Handkoffer wieder
hervorkam, sah er weniger freundlich aus. Er kam nicht direkt zu mir,
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