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Im Schatten von Notre Dame

Titel: Im Schatten von Notre Dame Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joerg Kastner
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Vielleicht gehört sogar der Concierge zu den Dragowiten oder wird zumindest von ihnen bezahlt. Fragte man nach, könnte niemand in der Conciergerie etwas über einen Gefangenen Marc Cenaine sagen, und doch wissen wir, dank Euch, Armand, daß er hier ist. Und es verwundert nicht. Die Cité-Insel steckt voller Geheimnisse, über und unter der Erde. Die Kapetinger haben den alten Königspalast errichtet, und schon der römische Statthalter residierte an diesem Ort. Noch aus der Zeit, als hier der Palast der Könige war, gibt es geheime Gänge und Verliese für Staatsgefangene, die heute so gut wie vergessen sind.«
    »Die Verliese oder die Gefangenen?« erkundigte ich mich.
    »Die einen wie die anderen. Zum Glück kenne ich mich hier aus.
    Schon einmal mußte ich ein Opfer der Dragowiten aus der Conciergerie befreien.«
    Er sprach von seinem Vater, Guillaume de Villon, meinem Großvater, dem angeblich Wahnsinnigen von 1465. Vielleicht hörte nur ich, wie seine heisere Stimme sich bei diesen Worten verhärtete.
    Zwei Hellebardiere bewachten den Eingang zur Conciergerie zwischen den vorspringenden runden Zwillingstürmen, die in den grau-grünen Fluten der direkt unter ihnen vorbeirauschenden Seine ihr verzerrtes Spiegelbild sahen. Die Wachen ließen uns unbehelligt eintreten, denn der Justizpalast war ein öffentlicher Platz. Eine Gruppe Zisterzienser war nicht verdächtiger als die Tuch- und Eisenwarenhändler, als die Verkäufer von Wein und von Zuckerwaren, als die Possenreißer und die mandatslosen Anwälte, die alle gleichermaßen lauthals und aufdringlich um Kundschaft buhlten. In den Gängen und Höfen, auf den Galerien und Treppen machten sie sich breit, und aus einem der nicht mehr benutzten großen Kamine drang sogar das rhythmische Hämmern eines Schmieds, der dort Esse und Amboss aufgestellt hatte.
    »Vielleicht hätten wir doch lieber nachts kommen sollen«, bemerkte Toison. »Es herrscht so viel buntes Treiben hier.«
    »Gerade darauf fußt mein Plan«, erwiderte Villon. »Zur Nachtzeit sind alle Tore verschlossen, und wir hätten uns mit großer Mühe unbemerkt einschleichen müssen. So aber sind wir ein Teil des Treibens und werden niemandem auffallen.«
    Ich bewunderte Villon für seine Umsicht und Entschlossenheit, wenn mir auch klar war, daß er nicht Colettes schöner Augen wegen handelte. Er wollte Marc Cenaine den Dragowiten entreißen, um mehr über die Machenschaften der Kipper und Wipper zu erfahren, um das Komplott der Verschwörer zu durchkreuzen.
    Eine verschlossene Tür am Ende eines langen Ganges, bewacht von zwei weiteren Hellebardieren und einem Sergeanten, begrenzte das laute Treiben.
    »Dahinter liegt der Abstieg zu den Kerkern«, erklärte Villon und blieb fünfzehn Schritt vor der Tür stehen. »Jetzt wird es ernst.«
    »Man wird uns doch durchlassen?« fragte Colette ängstlich besorgt, und das starke Zittern ihrer Stimme verriet das Ausmaß ihrer Erregung.
    »Das schon«, antwortete Villon. »Aber hin und wieder werden selbst fromme Brüder auf Waffen durchsucht. Das hängt ganz von der Laune des Schließers ab.«

    »Na fein«, knurrte Tommaso in seinem mangelhaften Französisch.
    »Und wenn der Signore Schließer heute nacht keinen Stich gehabt hat bei seiner Liebsten, müssen wir ihn ein wenig abstechen.«
    »Wenn wir schon so früh Aufsehen erregen, dringen wir nie bis zu den geheimen Kerkern durch«, mahnte Villon. »Deshalb habe ich für Ablenkung gesorgt.«
    »Aha«, machte Tommaso und blickte sich suchend um. »Und wo ist diese Ablenkung?«
    »Da kommt sie schon.«
    Villon meinte offenbar ein sich lauthals streitendes Paar, das sich an uns vorbeidrängte und einander mit einer ungeahnten Vielzahl niederster Schimpfwörter bedachte. Kurz vor der verschlossenen Tür blieben die beiden stehen, und der Mann brüllte zur Belustigung der Wachen: »Was bin ich, schlapp wie eine Kaulquappe? Die Kaulquappe werd ich dir schon zeigen, wenn du dich nicht länger einhüllst wie eine Nonne!«
    Und schon riß er am Kleid der Frau, daß die Schnüre über der Brust aufplatzten. Der Wüterich zerrte das rote Leinen auseinander und zog das weiße Brusttuch heraus, um es verächtlich auf den Boden zu schleudern. Zum Vorschein kam ein Paar großer, praller Brüste, zwei Kugeln rosigen, festen Fleisches, gekrönt von feuerroten Kirschen.
    Dem Schließer und den Hellebardieren fielen fast die Augen aus dem Kopf, und auch ich weidete mich an dem Anblick.
    »Schon besser!« stieß der Mann in

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