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Im Schatten von Notre Dame

Titel: Im Schatten von Notre Dame Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joerg Kastner
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begleitete die Worte. »Mit dir am Bein kann meine Schöne nicht ungehört durch die Nacht schleichen.«
    Ich hörte ein leises Ziegenmeckern und dann die schweren Schritte eines Mannes. Ohne Zweifel war das Pierre Gringoire. Weshalb, beim heiligen Christophorus und dem König von Samos, konnte ich ihn hö-
    ren, aber nicht sehen?
    Als ich ein kurzes Stock weiterging, entdeckte ich das Geheimnis.
    Eine schmale Stiege, halb Weg und halb Treppe, ging zur Linken von der Gasse ab und wand sich schlangenartig um mehrere Häuser, gerade so breit, daß ein Mann hindurchgehen konnte. Diesen Weg mußten Gringoire und Djali genommen haben. Vielleicht führte er mich auch zu la Esmeralda.
    In den alten, düsteren Häusern brannte kaum ein Licht, und der Mond hatte Mühe, mit seinen bleichen Strahlen zwischen die einander fast berührenden Dächer zu leuchten. Mehr tastend als sehend schob ich mich voran, vorsichtig, denn immer wieder rutschte ich auf Abfall und Unrat aus, den die Anwohner vor ihre armseligen Hütten gekippt hatten. Hätte ich meiner Nase trauen müssen, wäre dies der Augenblick gewesen, die Suche aufzugeben. Stechender Gestank von ver-faultem Fisch und Ausscheidungen jedweder Natur lag in der Luft, daß mir fast übel wurde. Ich preßte eine Hand vor Mund und Nase und tastete mich mit der anderen an den Hauswänden entlang, bis die armseligen Gebäude etwas auseinanderrückten, es endlich heller wurde und ein frisches Lüftchen den bestialischen Gestank vertrieb.
    Ich stand an der Seine, vor aufgespannten Fangnetzen und an schweren Holzpfählen vertäuten Fischerbooten, die sanft im seichten Uferwasser schaukelten. Rechts von mir lag weit entfernt der Louvre, nur undeutlich als dunkle Masse zu erkennen. Zur Linken stachen in unmittelbarer Nähe die Turmspitzen des Grand-Châtelet in den Nachthimmel. Der Mond betrachtete sein unstetes Zerrbild im Fluss und beleuchtete den unbebauten Uferstreifen.
    Nicht weit vom Aufgang der Müllerbrücke kniete la Esmeralda und sprach in unbekannten Worten mit Djali. Dem Tonfall nach erteilte die Zigeunerin dem Tier eine gehörige Rüge, was die Ziege jedoch nicht anfocht. Froh, ihre Herrin gefunden zu haben, leckte sie die drohend gegen sie ausgestreckte Hand. Die Tochter des Zigeunerherzogs seufzte, beendete ihre Strafpredigt und setzte ihren Weg zur Müllerbrücke fort, begleitet von Djali. Ihr folgte wie ein abgetrennter Schatten Gringoire, der sich hinter einem an Land gezogenen und zum Kal-fatern umgestülpten Fischerboot verborgen gehalten hatte. Und ich wurde zum Schatten des Schattens, spielte einmal mehr den Jäger.
    Wir überschritten die Seine auf der Müllerbrücke. Die niederge-brannte Pfandleihe, eine rußige Lücke in der dichtgedrängten Häuserreihe, rief mir ins Bewußtsein, daß mein Unterfangen mit ungeahnten Gefahren verbunden sein mochte. Ich wandte mich ab und blickte wieder nach vorn, doch die Aussicht ermunterte mich nicht. Der Justizpalast, der mit seinen wie Riesensoldaten aufgereihten Türmen über das andere Brückenende wachte, erinnerte mich schmerzlich an den fehlgeschlagenen Befreiungsversuch und den Blutzoll, den er gefordert hatte.
    La Esmeraldas Weg führte an der östlichen Mauer des Palastes entlang und dann auf den Pont Saint-Michel, der, wie weiter östlich der Petit-Pont, die Cité-Insel mit der Universitätsstadt verbindet. Durch die Rue de la Huchette, vorbei an Häusern mit lärmenden Dirnen und Scholaren, ging es zum Petit-Châtelet. Die Festung am südlichen Ende des Petit-Pont erschien mir in der Nacht wie der Kopf einer Schlange, deren Leib die Brücke war.
    Aus dem Schatten der Wachtürme löste sich ein hochgewachsener Mann in der Uniform eines königlichen Offiziers, geschmückt mit der Lilie und dem geflügelten Hirschen. Sein Degen und die selbst in Lu-nas Licht goldblitzenden Sporen klirrten leise, als er auf la Esmeralda zutrat. Die Oberlippe unter dem gepflegten Schnurrbart verzog sich zu einem siegesgewissen Lächeln, und Phoebus de Châteaupers begrüß-
    te die Zigeunerin mit süßlichen Worten, wie sie in den Straßen des Quartier Latin so oft geflüstert werden.
    Ich hatte recht behalten! Das Gefühl des Triumphs war so stark, daß ich fast vergessen hätte, mich unter das niedrige Vordach einer Scheu-ne zu kauern, als la Esmeralda und Djali in Begleitung des Hauptmanns die Rue de la Huchette zurückgingen. Ihnen folgte Gringoire, der sich zuvor hinter einer Wassertonne verborgen hatte.
    Wußte er, daß seine ihm

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