Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Im Schatten von Notre Dame

Titel: Im Schatten von Notre Dame Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joerg Kastner
Vom Netzwerk:
Fleck auf der Matratze. Eine klebrige Masse hatte sich dort festgesetzt und allen Reinigungsversuchen widerstanden, falls die Alte solche Anstrengungen überhaupt unternommen hatte.
    Das Blut des Hauptmanns! Der Gedanke, daß sich in den vergangenen Wochen unzählige Paare auf der blutbefleckten Matratze gewälzt hatten, machte es mir nicht leichter, den angeblichen Wein im Magen zu behalten.

    Ich schluckte und sagte: »Die Wunde muß groß gewesen sein.«
    »Ich hab mir den Toten nicht angesehen.«
    »Mich wundert, daß eine Frau mit solcher Kraft zustechen kann.«
    »Sie ist eine Zigeunerin, eine Hexe. Mit ihren Zauberkräften hätte la Esmeralda eine ganze Kompanie Soldaten töten können.«
    Glaubte sie das wirklich, oder wollte sie davon ablenken, daß sie von den wahren Umständen der Tat wußte? Dom Frollo konnte kaum unbemerkt an ihr vorbeigekommen sein. Aber sosehr ich mich auch be-mühte, ich vermochte den Ausdruck ihres Affengesichts nicht zu deuten. Bei so vielen Falten und Warzen und Haaren geriet jede Regung zur nichts sagenden Grimasse. Und ihre Augen, die mir vielleicht etwas hätten verraten können, lagen im Schatten.
    »Woher wisst Ihr das, Madame?«
    »Was?«
    »Daß sie eine Zigeunerin und eine Hexe ist.«
    »Erkennt Ihr eine Zigeunerin nicht, wenn Ihr sie seht? Eine Hexe muß sie sein, sonst hätte sie einen so stattlichen Mann wie Phoebus de Châteaupers nicht töten können. Außerdem ist jedes Zigeunerweib eine Hexe, nicht?«
    Ich zwang mich zu einem Lächeln und erwiderte: »Ich dachte, Ihr kennt die Mörderin näher.«
    »Ich?« Sie klang empört. »Wie kommt Ihr darauf, Messire?«
    »Ihr nanntet sie beim Namen, la Esmeralda.«
    »Seit der Mordnacht pfeifen die Spatzen von ganz Paris den Namen von den Dächern.«
    »War Euch denn auch der Hauptmann nicht näher bekannt?«
    »Doch, er kam häufig zu mir, um ein junges Brathühnchen aufzu-spießen.« Eben hatte sie noch gekichert, jetzt wurde ihr Ton ernst, und sie rückte ein Stück von mir ab. »Ihr seid sehr neugierig. Warum seid Ihr so erpicht auf die Geschichte?«
    »Ich sagte Euch doch, daß mir solche Schilderungen gefallen. Also erzählt mir mehr, und seid gewiß, daß Ihr Eure Zeit nicht verschwen-det!«
    Mit einer weiteren Krone erkaufte ich, wie ich hoffte, ihr Wohlwollen.

    Allmählich wurde mein Geldbeutel schmal. Falourdel ließ die Münze irgendwo in ihren wollenen Lappen verschwinden und entblößte noch mehr von ihrem schwärzlichen Zahnfleisch, was ich als Lächeln nahm.
    Sie beugte sich zu der Truhe vor und füllte die Becher auf. Notgedrungen trank ich mit und lächelte ebenfalls, während sie mir allerlei Geschwätz über die merkwürdigen Begebenheiten im Leben einer ›ehrbaren Schankwirtin‹ auftischte. Immer wieder versuchte ich, das Gespräch auf den Mord an Hauptmann Phoebus zu bringen, aber es wollte mir nicht gelingen.
    Meine Zunge wurde schwer und lag in meinem Mund wie ein ledriger Fremdkörper, ein dicker Klumpen, der sich nur widerstrebend bewegen ließ. Mein Verstand umwölkte sich, als zögen die Nebelschwaden, die über dem Fluss hingen, durch die Sprünge in der Fensterscheibe, erfüllten den Raum und kröchen durch Mund, Nase und Ohren in meinen Kopf. Dort legten sie sich, kräftigen Fingern gleich, um mein Gehirn und pressten es, daß es weh tat. Ich spürte Betäubung und Schmerz zugleich. Jedes Wort, das meine Zunge gegen alle Widerstände formte, und jedes Nicken verursachten neuen Druck in meinem Kopf.
    Mir war, als brauchte ich Stunden, um zu begreifen, daß nicht die Dämpfe der Seine mich benebelten, sondern das Wein genannte Ge-bräu. Ich hatte es tapfer getrunken, um die Falourdel einzulullen, und statt dessen mich selbst betäubt. Einen neuerlichen Versuch der Alten, meinen Becher zu füllen, wehrte ich so ungeschickt ab, daß der Krug auf dem Boden zersprang. Die rote Flüssigkeit ergoss sich über die morschen Dielen und versickerte in den Ritzen. Übrig blieb nur ein großer Fleck, ähnlich dem getrockneten Blut des Hauptmanns auf der Matratze.
    Ein heftiges Knarren und Ächzen ließ mich zusammenfahren. War es das Holz der Dielen und Balken, das nach mehr verlangte, nach Wein und Blut? Lebte dieses verwitterte Gebäude von vergossenem Le-benssaft? War nicht la Esmeralda die Hexe, sondern die Falourdel? Als ich sie ansah mit ihrem Bart und ihren Warzen und Runzeln und dem ewigen Grinsen, schien mir die Antwort klar: Sie hatte mich verhext, hatte mir Gift zu trinken gegeben und wollte mich

Weitere Kostenlose Bücher