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Im Schatten von Notre Dame

Titel: Im Schatten von Notre Dame Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joerg Kastner
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flinker in der Werkstatt. Jedes Hindernis, gegen das einer von ihnen gestoßen war, schien sich unauslöschlich in das Gedächtnis jedes einzelnen gegraben zu haben, als hätten alle gemeinsame Empfindungen, einen gemeinsamen Verstand. Binnen weniger Augenblicke war der Weg zur Tür versperrt.
    Falcone zog mich zu einer steilen Treppe, die sich am Ende der Werkstatt aufwärts wand, in die Wohnräume des Hauses. Oben stieß er gegen eine verschlossene Falltür und mühte sich ab, sie zu öffnen. Unter uns kamen die blinden Mörder Stufe um Stufe näher …
    »Beeilt Euch!« spornte ich Falcone an, als das Gesicht des vordersten Maulwurfs im Halbdunkel der Stiege auftauchte. Ein runder, fast haar-loser Kopf, viel zu groß und wuchtig für den hageren Leib. Die Rechte führte ein Fleischermesser mit breiter Klinge, die immer wieder die Luft durchteilte. Die Rechnung des Blinden war einfach: Je näher er uns kam, desto größer war die Wahrscheinlichkeit, daß er einen von uns erwischte.

    Mein Ausruf war nutzlos und dumm. Nutzlos, weil Falcone auch ohne mich wußte, wie nahe die Gefahr war. Und dumm, weil meine Stimme dem Maulwurf verriet, wo ich stand. Für einen Herzschlag hielt er inne und lauschte. Sicher war es bloße Einbildung, daß ich meinte, die toten Augen in dem reglosen Gesicht richteten sich auf mich.
    Dies war der Augenblick zu handeln. Ich sprang ihm entgegen, hielt mich am Geländer fest und rammte meinen Absatz gegen seine Brust.
    Der Maulwurf stöhnte auf, und mit einem pfeifenden Laut entwich seinen Lungen die Luft. Er fiel nach hinten, ruderte hilflos mit den Armen, stürzte die Treppe hinab und riß die anderen mit sich.
    Über mir entstand, begleitet von einem lang gezogenen Quietschen, ein heller Fleck. Falcone hatte die Klappe geöffnet. Ich folgte ihm nach oben, und warf die Falltür wieder zu.
    »Los, helft mir!« rief der Leutnant, der sich an einer schweren Truhe zu schaffen machte. Geschirr klirrte, als wir die große Kiste aus Eichenholz über die Falltür schoben. Der Anflug eines Lächelns glitt über Falcones Gesicht. »Das dürfte die Mistkerle ein wenig aufhalten.
    Vielleicht haben wir Zeit genug, um uns über das Dach abzusetzen.«
    In einer geräumigen Schlafkammer mit einem breiten Bett, das Gaspard vermutlich mit seiner Gemahlin geteilt hatte, fanden wir eine Dachluke. Zum Glück waren wir beide schlank, sonst hätten wir uns nicht hindurchzwängen können. Oben wäre ich beinahe abgerutscht, doch der Leutnant packte mich und hielt mich fest. Die feuchte Nebel-luft hatte den Dachschiefer glitschig werden lassen.
    Und dann sahen wir sie! Wie riesige Käfer krochen sie auf allen vieren auf dem Dach herum. Oder wie Maulwürfe, die sich langsam, aber zielstrebig vorangruben. Ihr Ziel waren wir.
    »Wie haben sie das geschafft?« fragte ich, zutiefst bestürzt, im Flü-
    sterton.
    »Sie müssen schon vor uns auf dem Dach gewesen sein. Es sind andere als in der Werkstatt. Die sind nämlich zurück auf den Hof. Seht Ihr?«
    Von da, wo wir hockten, konnten wir sowohl den Innenhof als auch den Uferstreifen überblicken. Überall bewegten sich Maulwürfe in Menschengestalt durch den Nebel wie Stöberhunde auf der Suche nach dem Wild. Insgesamt schätzte ich ihre Zahl auf fünfzehn bis zwanzig.
    Gefährlicher als die unten waren im Augenblick die auf dem Dach.
    Sie kamen schneller näher, hatten vielleicht unsere Stimmen gehört.
    Falcone zeigte auf einen vorspringenden Erker und dann auf mich.
    Ich verstand, was er wollte, aber der Grund blieb mir verschlossen.
    Seine Miene besagte unmissverständlich, daß er keinen Widerspruch duldete. Also schob ich mich auf den bogenförmigen Erker und kauerte mich auf das glatte Halbrund.
    »Springt schon!« rief der Polizist zu meinem Erstaunen und warf das Tuch mit den restlichen Äpfeln vom Dach; mit lautem Klatschen fiel es in den Innenhof, dicht neben dem Tor. »Ja, gut so, lauft zum Ufer, ich folge Euch!«
    Falcone sprang vom Dach, ehe ich es noch ganz wahrnahm und verhindern konnte. Mit einem schmerzhaften Stöhnen landete er im Hof, sprang auf, knickte aber sofort wieder ein. Kein Zweifel, er hatte sich einen Fuß verletzt. Er griff nach einem toten Ast, den der Wind von einem der Bäume am Ufer gestohlen hatte. Mit ihm als Krücke hum-pelte der Leutnant zum Hoftor, doch die Maulwürfe vom Uferstreifen schnitten ihm den Weg ab. Vier oder fünf umkreisten ihn.
    Mir drohte das Herz stehen zu bleiben, als ich sah, wie Falcone um sein Leben

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