Im Schattenwald
Paradies!«
»Ich habe mein Paradies schon gefunden. Auf der anderen Seite des Waldes. Dort lebt meine Frau.«
Der Professor war ein kluger Mann. Er wusste genau, dass eine kleine Ziegenfarm niemals ein Paradies sein konnte, und war fest entschlossen, den Mann daran zu hindern, jemals über die Wunder des Waldes berichten zu können.
»Schattenhexe. Tu, was ich dir befohlen habe!«
Und es war getan.
Onkel Henrik konnte nie wieder über den Wald sprechen.
Der traurigste Anblick, den die Schattenhexe je erlebt hatte
D ie Schattenhexe flog in Gestalt eines Raben über den Wald und versuchte, irgendwelche Anzeichen der beiden Kinder zu entdecken. Sie schwebte über das kleine Blockhaus des Wahrheits-Pixies, erinnerte sich an die köstliche Suppe und die glücklichen Stunden, die sie einst gemeinsam mit ihrer Schwester dort verbrachte hatte. Sie erinnerte sich auch an den weniger glücklichen letzten Besuch, als sie mit ihrem Meister zurückgekehrt war und den Schatten der kleinen Kreatur gestohlen hatte.
Natürlich hatte sie nie beabsichtigt, die Beschreibungen im Buch des Professors wahr werden zu lassen. Sie hatte sich sogar mit ihm gestritten:
»Aber Meister, dann wird alles zerstört werden, was Euch lieb ist. Alles, was Ihr schützen wollt. Und es wird große Gefahr heraufbeschwören. Ihr riskiert Euer Leben.«
»Nicht wenn du mich zu dem furchterregendsten Geschöpf von allen machst«, entgegnete der Professor. »Sie sollen mich fürchten. Mich, der ihr Leben verändert hat. Darum sollen sie mich den Veränderer nennen. Dieser Name soll sie in Angst und Schrecken versetzen. Hast du mich verstanden, Schattenhexe?«
»Ja, Meister.«
»Tu, was ich dir befohlen habe! Stiehl ihre Schatten und verändere sie - ohne Ausnahme.«
Natürlich hatte es ein paar Probleme gegeben. Einige Geschöpfe ließen sich nicht verändern.
Die Tomtegubbs, zum Beispiel, werfen keine Schatten. Die Trolle wurden von den Tomtegubbs gewarnt und beschlossen, ihre Häuser nur noch des Nachts oder bei bewölktem Himmel zu verlassen. So wurden diese Unveränderten zu den Feinden des Waldes.
Erwischte man sie jemals außerhalb ihres Territoriums oder bei einem Fluchtversuch, wurden sie von den Huldren ins Gefängnis geworfen. Danach brachte man sie zum Professor, der die Schattenhexe anwies, sie in einer Schattenwolke zu ersticken.
Ein weiteres Problem bereitete die Schneehexe, die einen Schneesturm entfachte, der tagelang anhielt und die Veränderung der vielen Geschöpfe wesentlich erschwerte. Der Professor befahl der Schattenhexe, ihrer Schwester das schützende HEK-Armband zu stehlen und sie dann ihrer Zauberkraft zu berauben. Als dies getan war, wurde die Schneehexe für alle Zeit ins Gefängnis gesperrt.
Jetzt, viele Jahre später, während sie über den Wald flog, erinnerte sich die Schattenhexe an die vielen schrecklichen Dinge, die sie getan hatte, um den Willen ihres Meisters zu erfüllen. Entsetzliche Dinge.
Sie suchte den Boden ab, doch von den beiden Menschen war keine Spur zu sehen.
Vielleicht war ihnen die Flucht geglückt. Dieser Gedanke tröstete sie, so unrealistisch er auch sein mochte. Die Chancen zweier Kinder, den Wald lebend wieder zu verlassen, waren gleich null. Entweder waren sie tot - oder sie mussten gefunden werden.
Sie stieß herunter und folgte dem großen Weg. Jetzt konnte sie auch die Spuren des Wagens erkennen, der das Mädchen und die Schneehexe transportiert hatte.
Als sie den leeren Käfig erreichte, landete sie auf einer der oberen Sprossen. Mehrere Huldrenskelette lagen auf dem Boden. Doch von dem Mädchen war nichts zu sehen. Nur ein wenig Trollblut und die letzten Überreste des Schnees waren zurückgeblieben. Der Schnee häufte sich auf der einen Seite des Käfigs und hatte die Form eines Körpers.
Sie flatterte hinein und landete in einer seichten Eiswasserpfütze.
Es tut mir so leid, liebe Schwester. Ich wollte dich nicht schwächen. Vergib mir.
Die schmelzenden Schneekristalle waren der traurigste Anblick, den sie je erlebt hatte.
Schweren Herzens flog sie wieder auf, weil sie wusste, dass sie sich ihrem Auftrag nicht entziehen konnte. Sie suchte zwischen den Bäumen und überquerte die weite Ebene, ohne irgendeine Spur von den beiden Menschen zu entdecken. Doch dann, nach der vergeblichen Suche eines halben Tages, geriet etwas in ihr Blickfeld.
Anfangs waren es nur zwei kleine, dunkle Punkte, die sich auf einem breiten Weg langsam in südlicher Richtung bewegten.
Als sie
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