Im Schutz der Nacht
ich nass und kalt bin.«
Auf diese Weise hatte er seine Wärmeabstrahlung verringert, erkannte Creed. Der Schmerz schoss mit weißglühenden Dolchen durch sein Bein, als Cal den Stiefel aufschnitt und dabei unwillkürlich an den Knochen stieß. Um sich abzulenken, hielt sich Creed vor Augen, welches Risiko Cal eingegangen war, indem er darauf gesetzt hatte, dass die Schützen keine Nachtsichtgeräte hatten. Und wenn er sich getäuscht hätte? »Du hast einfach immer Glück«, sagte er und verbiss sich ein Stöhnen, als Cal den zerschnittenen Stiefel vom Fuß zog.
»Kein Glück«, erwiderte Cal gedankenversunken. »Nur Verstand.« Die alte besserwisserische, aber unwiderlegbare Antwort, die Creed schon hundertmal gehört hatte, warf ihn um Jahre zurück in die Zeit, als sie zahllose geheime Einsätze absolviert und oft genug ihren Arsch erst in letzter Sekunde aus der Klemme gezogen hatten, und zwar dank einer Mischung aus Können, Disziplin, Training und purem Glück. Creed war beinahe überrascht, dass neben Cal Neenah kniete, die mit besorgter Miene, aber eiserner Ruhe die Taschenlampe hielt; eine Sekunde lang hatte er erwartet, einige aus ihrer alten Truppe versammelt zu sehen.
Er wagte einen Blick auf sein Bein und war aufrichtig überrascht. Die Wunde blutete zwar höllisch und sah schlimm aus, aber nicht halb so schlimm, wie er erwartet hatte. »Offenbar ist sie erst irgendwo aufgeprallt und zerschellt.« Damit meinte er die Kugel.
»Wahrscheinlich.« Cal drehte sein Bein zur Seite. »Hier ist die Austrittswunde. Sieht so aus, als hätte der Splitter den Knochen getroffen und wäre dadurch abgelenkt worden.«
»Wickel das Bein ein, damit wir endlich hier rauskönnen. «
Wahrscheinlich war der Knochen durch die Wucht der Kugel zersplittert. Creed wusste, dass er immer noch in Lebensgefahr schwebte, denn die Blutung war noch nicht gestoppt, überdies bestand die Möglichkeit einer Infektion oder eines bleibenden Muskelschadens und so weiter; aber insgesamt war er verglichen damit, was hätte passieren können, halbwegs in Schuss. Er hatte Männer gesehen, die nach einem Schuss in den Oberschenkel ihr Bein verloren hatten. Scheiße, so betrachtet konnte er sich richtig glücklich schätzen.
»Womit sollen wir es einwickeln?«, fragte Neenah, und ihre Stimme zitterte leicht dabei. Bis jetzt hatte sie bewundernswert durchgehalten, aber die bösen Buben waren immer noch da draußen und näherten sich womöglich mit jeder Minute, er war verletzt, und Cal konnte ihnen keinen Feuerschutz geben, wenn er ihm gleichzeitig helfen sollte.
Schweigend schälte sich Cal aus seiner nassen Jacke und seinem Hemd. Sein Körper glänzte feucht im schwachen Licht. Mit Creeds Messer trennte er einen Ärmel seines Hemdes ab, schnitt ihn ein und riss den Stoff fast ganz durch. Das nicht zerrissene Ende legte er auf die Austrittswunde, die noch stärker blutete als die Einschusswunde, dann begann er den aufgerissenen Ärmel um Creeds Bein zu wickeln, kreuz und quer und so fest wie möglich, bevor er die Enden zuletzt genau über der Eintrittswunde verknotete.
»Besser geht es vorerst nicht«, sagte er und schlüpfte in die Überreste seines Hemdes. Eigentlich hätte Cal die nassen Sachen ausziehen müssen, das wusste Creed, um eine Unterkühlung zu vermeiden; die Nacht war kalt, und die Feuchtigkeit leitete die Wärme schneller aus seinem Körper, als wenn Cal gar nichts getragen hätte. Der einzige Grund dafür, angezogen zu bleiben, war, dass ihn die Infrarot-Zielfernrohre dann nicht orten konnten.
»Hast du den Schützen erwischt?«, fragte Creed.
»Wenn nicht, dann ist er vor Schreck um zehn Jahre gealtert.« Cal nahm Neenah die Taschenlampe ab, knipste sie aus und ließ sie in seine Tasche gleiten. »Das wird schwierig, vor allem der Anfang, denn selbst wenn ich den Ersten erwischt habe, können uns die anderen immer noch unter Feuer nehmen, sobald wir uns bewegen. Wir müssen dort entlang.« Dabei deutete er auf den großen Fluss. »Auf diese Weise sind wir weiter weg, und es stehen mehr Häuser zwischen uns und ihnen.«
Obwohl Cal vor Kälte bibberte, half er Creed aufzusitzen und presste sich dann an seine linke Seite, um möglichst viel Gewicht von dem verwundeten Bein zu nehmen, bevor er mit der linken Hand seine Flinte aufhob. Creed hätte sich Sorgen gemacht, hätte er Cal nicht schon öfter mit der linken Hand schießen sehen. Alle seine Männer waren genau für solche Situationen an beiden Händen
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