Im Schutz der Nacht
ausgebildet.
»Er kann doch nicht gehen!«, flüsterte Neenah erschrocken.
»Natürlich kann er«, erwiderte Cal. »Er hat immer noch ein gesundes Bein. Neenah, du ziehst meine nasse Jacke über den Kopf. Ich weiß, das ist eklig, aber damit blockierst du die Wärmeabstrahlung.« Zwar nicht völlig, aber hoffentlich so stark, dass es den Schützen kurzfristig irritierte.
»Auf geht’s, Soldat«, sagte Creed und wappnete sich innerlich für einen langen, kalten und schmerzvollen Marsch. »Ziehen wir los.«
Obwohl sie sich mehrmals in den Dreck werfen mussten, weil sie Kugeln pfeifen hörten, schafften es Cate und die anderen ohne Verletzungen oder Verluste bis zum Haus der Richardsons. Sie stolperten, rannten, stürzten und sprangen sofort wieder auf, um weiterzurennen, wie von Panik getriebene Flüchtlinge, was sie mehr oder weniger auch waren. Sie trugen so viel wie möglich bei sich, die Decken und Mäntel, die Cate aus dem Haus geholt hatte, und die Erste-Hilfe-Box, die Cal zurückgelassen hatte. Die trug Cate, obwohl sie schwer war und obwohl sie ihr immer wieder gegen das Bein schlug. Sie hoffte, dass sie damit niemandem das Leben retten mussten, aber ihr war schmerzlich bewusst, dass das sehr wohl passieren konnte, deshalb wollte sie die Box keinesfalls zurücklassen.
Das Haus der Richardsons war auf einem zum Fluss hin abfallenden Grundstück errichtet und hatte infolgedessen als einziges Haus in Trail Stop einen voll ausgebauten Keller. Unter einigen der älteren Häuser waren kleine Bunker ausgehoben worden, in denen Gemüse aufbewahrt werden konnte, doch diese Kartoffelkeller waren nur bessere Erdlöcher und würden, wenn es hart auf hart kam, höchstens eine Handvoll Menschen, aber keinesfalls die zwanzig Flüchtigen aufnehmen, die jetzt auf dem Weg zu den Richardsons waren. Mit blassen Wänden und schwarzen Fenstern ragte das Haus vor ihnen aus der Dunkelheit auf.
»Perry!«, rief Walter mit aller Kraft, als sie sich dem Haus näherten. »Ich bin’s, Walter! Ist dir und Maureen was passiert?«
»Walter?« Die Stimme kam hinter dem Haus hervor, und alle sahen in die entsprechende Richtung. Ein Lichtstrahl hüpfte über den unebenen Boden und tanzte kurz über ihre Gesichter, als wollte Perry sich überzeugen, dass sie es waren. »Wir sind im Keller. Was bei allen Höllenhunden ist da los? Wer schießt da, und warum ist der Strom ausgefallen? Ich habe versucht, im Sheriff’s Department anzurufen, aber die Leitung ist tot.«
Die Telefonleitungen waren also ebenfalls gekappt worden, erkannte Cate und schauderte angesichts der Erkenntnis, wie weit Mellor und Huxley in ihrem Rachefeldzug gegangen waren. All das kam ihr so surreal, so vollkommen übertrieben vor; diese Männer mussten psychisch krank sein.
»Kommt alle rein«, rief Perry und wies ihnen mit seiner Taschenlampe den Weg. »Kommt aus der Kälte. Ich habe den Kerosinheizstrahler angemacht; der nimmt der Luft die Kälte.«
Dankbar stolperte die Gruppe vorwärts und drängte durch die Außentür in den Keller. Wie die meisten Keller war auch dieser mit einem zusammengewürfelten Sortiment an ausgemusterten Möbeln, Kleidungsstücken und allem möglichen Schrott vollgestellt. Die Luft roch muffig; der Boden bestand aus nacktem Beton. Aber der Heizstrahler gab eine wunderbare Wärme ab, und die Richardsons hatten eine Öllampe angezündet. Der gelbliche Schein war zwar nur matt und warf riesige Schatten in alle Ecken, aber nach der dunklen Kälte erschien ihnen das Licht wie ein kleines Wunder. Maureen eilte ihnen entgegen, eine kleine, plumpe graue Henne von Frau, die mitleidsvoll gluckste.
»Meine Güte, was sagt man dazu?«, fragte sie niemand Bestimmten. »Ich habe oben noch ein paar Kerzen und eine Lampe. Ich hole sie schnell und ein paar Decken dazu ...«
»Das mache ich«, unterbrach sie ihr Mann. »Du bleibst hier unten und hilfst ihnen, sich einzurichten. Weißt du, wo der alte Kaffeekessel ist? Es wird vielleicht länger dauern, aber wir könnten auf dem Kerosinheizstrahler Kaffee kochen.«
»Der steht unter der Spüle. Wasch ihn gut aus ... nein, warte, wir haben kein Wasser. Wir können keinen Kaffee kochen.« Genau wie jeder andere in Trail Stop bezogen die Richardsons ihr Wasser aus einem eigenen Brunnen mit einer Elektropumpe. Keine Elektrizität, kein Wasser. Walter Earl besaß einen Generator, der zum Einsatz kam, wenn der Strom ausfiel, dann erlaubte er seinen Nachbarn großzügigerweise, Wasser aus seinem Brunnen zu
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