Im Schutz der Schatten: Roman (German Edition)
Die Arme seines Hoodies waren hochgeschoben, und seine Unterarme waren zu sehen. Wie Ritva gesagt hatte, wirkte er durch die vielen Tätowierungen geradezu dunkelhäutig. Der ganze Hals war mit Bildern bedeckt. Ob er auch im Gesicht tätowiert war, ließ sich nicht ausmachen. Das Bild war verschwommen, aber Irene fand, dass der Fahrer größer und muskulöser als sein Kumpel mit dem Pferdeschwanz wirkte.
Irene war zufrieden mit sich, als sie die Bilder zur Kriminaltechnik schickte. In einigen Stunden würde sie wissen, wer die vier Männer waren.
Es war Zeit zum Mittagessen, als Irenes Telefon auf dem Schreibtisch klingelte.
»Hallo, Irene. Hier ist Göran von der Kriminaltechnik. Ich soll mit Hilfe einer Zeugin ein Phantombild anfertigen. Ihr Name ist Ritva Ekholm.«
»Genau«, bestätigte Irene.
»Sie ist nicht erschienen.«
»Ach?«
Irene war sehr überrascht. Es dauerte ein paar Sekunden, bis sie antwortete:
»Sie ist Chemiedozentin, Chalmers. Ich habe gestern Abend mit ihr gesprochen. Spezielle Person … so eine zerstreute Wissenschaftlerin und ein wenig Boheme. Sie hat den Termin bei dir sicher vergessen.«
Sie versuchte weniger besorgt zu klingen, als ihr zumute war.
»Okay. Melde dich, wenn du sie erreicht hast«, sagte Göran.
»Klar. Danke.«
Rasch wählte Irene die Nummer von Ritvas Arbeitsplatz. Eine junge Frau ging an den Apparat.
»Das ist der Anschluss von Ritva Ekholm. Hier ist Lina Johannesson. Womit kann ich Ihnen helfen?«
»Hier ist Kriminalinspektorin Irene Huss. Ich hätte gerne mit Ritva Ekholm gesprochen.«
Die Frau am anderen Ende holte hastig Luft.
»Sie ist nicht hier«, antwortete sie.
»Nicht? Und wo kann ich sie erreichen?«
»Also … sie ist heute nicht zur Arbeit erschienen. Sie hätte heute Morgen an einer Besprechung teilnehmen sollen. Wir haben sie zu Hause und auf ihrem Handy angerufen, aber sie geht nicht dran. Wir berieten gerade darüber, dass jetzt in der Mittagspause jemand zu ihr nach Hause fahren sollte. Falls etwas passiert ist.«
Irenes Gedanken überschlugen sich. Ritva hatte gesagt, sie müsse am Morgen zu einer unerhört wichtigen Besprechung, die sie keinesfalls verpassen dürfe. Aber das hatte sie ganz offenbar getan. Und warum ging sie nicht ans Telefon? Das war gar nicht gut! Schnell fasste Irene einen Beschluss.
»Sie brauchen nicht zu fahren, das mache ich.«
»Sehr gut! Sie wohnt ja allein. Vielleicht ist sie krank geworden und kann das Bett nicht verlassen«, erwiderte die Kollegin.
»Wir gehen dem nach«, sagte Irene und beendete das Gespräch.
Als Irene zum Fahrstuhl eilte, sah sie Sara Persson in ihrem Zimmer sitzen.
»Komm! Es eilt!«
Etwas in Irenes Stimme ließ Sara aufspringen und hinter ihr her rennen. Sie fragte erst, was so eilig sei, als sie im Auto saßen. Rasch erläuterte ihr Irene die Situation.
Mehrmals während der Fahrt rief Sara bei Ritva an, erreichte sie jedoch nicht. Nachdem sie auf dem einzigen Parkplatz, einem Behindertenparkplatz, eingeparkt und die Parkgenehmigung für die Polizei auf das Armaturenbrett gelegt hatten, zog Irene ihr Handy aus der Tasche und ging zur Haustür. Glücklicherweise hatte sie Ritva Ekholms in ihrem Handy gespeicherten Türcode noch nicht gelöscht. Sie gab ihn ein, und die Tür öffnete sich gnädig summend. Sie traten in das kühle Entree. Sara sah sich beeindruckt um, sagte aber nichts, sondern eilte Irene in den Fahrstuhl hinterher. Sie waren beide nicht sonderlich breit, aber in der winzigen Aufzugkabine wurde es trotzdem eng. Als der Fahrstuhl oben anlangte, riss Irene die Tür auf. Mit wenigen Schritten war sie im nächsten Stockwerk vor Ritvas Haustür. Sie drückte das Ohr gegen die Tür und hörte ganz leise Musik eines Streichorchesters. Es war dieselbe Musik wie am Abend zuvor, und das machte Irene ein wenig Hoffnung. Sie bemerkte, dass ihr Zeigefinger leicht zitterte, als sie die Klingel drückte. Sie warteten lange, aber nichts geschah. Nachdem sie etliche Male geklingelt hatten, beugte sich Irene vor und öffnete die Klappe des Briefkastens.
»Hallo, Ritva. Ich bin’s, Irene Huss. Machen Sie bitte die Tür auf.«
Eine ganze Weile blieb sie bei geöffneter Klappe stehen und lauschte. Die Streicher waren jetzt noch deutlicher zu hören, aber keine anderen Geräusche.
»Ritva. Sie sollten doch heute ins Präsidium kommen. Ich habe mir Sorgen gemacht, als Sie nicht aufgetaucht sind. Bitte, machen Sie auf«, fuhr Irene fort.
Sara sah sich die Schlösser eingehend
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