Im Schutz der Schatten: Roman (German Edition)
ignorieren und sich auf das Jetzt zu konzentrieren.
»Wie wäre es mit einer Runde um die Mauer?«, schlug Ann vor.
»Gerne«, antwortete Irene.
»Es hat vermutlich keinen Sinn, dass wir alle in dieselbe Richtung gehen. Wir treffen uns in der Mitte«, sagte Ann.
Sie hakte sich scherzhaft bei Fredrik ein und zog ihn auf die eine Seite des von einer Mauer umgebenen Grundstückes. Irene und Sara gingen in die entgegengesetzte Richtung.
Der Kaufmann hatte nicht geknausert. Die stabile Mauer war ungewöhnlich hoch. Nur vereinzelte Baumwipfel ragten darüber hinaus. Das Gebäude war hell erleuchtet, aber je weiter sie kamen, desto dunkler wurde es. Das hinterste Ende des Parks war vollkommen unbeleuchtet. Das wenige Licht, das von der Rückseite des Hauses hätte hierherdringen können, wurde von der hohen Mauer effektiv aufgefangen.
Irene und Sara mussten ihre Taschenlampen einschalten, um sehen zu können, wo sie hintraten. Ein Pfad, der die Mauer entlangführte, erleichterte ihren Rundgang. Er war schmal, und Irene hatte das Gefühl, dass es sich um einen Wildwechsel handelte. Von einer Seite wucherten Gestrüpp und Büsche auf den Weg. Sie erreichten eine der beiden Pforten in der Mauer. Das protzige Tor am Haupteingang war sicher vier Mal so breit, aber auch dieses war recht kunstvoll gefertigt. Irene drückte die Klinke, aber das Tor war mit einer schweren Kette und einem riesigen Vorhängeschloss gesichert. Als sie durch das Schmiedeeisengitter hindurchspähte, sah sie die Umrisse einer Laube im Park, dahinter war als ein dunkles Rechteck in der Mauer die entgegengesetzte Pforte zu erkennen. Hier bewegten sich einige Männer. Obwohl sie relativ weit entfernt waren, sah Irene, dass sie in die Büsche pinkelten.
Als sie die hintere Ecke der Mauer erreicht hatten, öffnete sich vor ihnen eine große Weide, die von einem Elektrozaun umgeben war. Irene hörte, dass sich Tiere in der Dunkelheit bewegten. Der beißende Geruch von Mist lag in der Luft. Wie als Antwort auf die Frage, um welche Tiere es sich handeln könnte, war ein leises Blöken zu hören. Hinter der weitläufigen Weide war die Straßenbeleuchtung einer kleineren Vorstadtsiedlung zu sehen.
Obwohl das Wetter noch mild war, zogen schwere Wolken über den Himmel und verbargen den Vollmond, von dem sie wussten, dass er da irgendwo sein musste. Jeden Augenblick konnte es wieder zu regnen beginnen.
Sie folgten der Schmalseite der Mauer, um Fredrik und Ann in der Mitte zu treffen.
»Habt ihr was gesehen?«, fragte Sara, als sie sich ihren Kollegen näherten.
»Überhaupt nichts«, antwortete Ann.
»Wir auch nicht.«
»Dann sehen wir uns gleich am Entree«, meinte Fredrik.
Wie auf Kommando kehrten sich die beiden Paare die Rücken zu und begannen in die Richtung zurück zugehen, aus der sie gekommen waren. Sie waren nur wenige Meter weit gegangen, als es knallte. Zwei Schüsse in rascher Folge hallten durch die Dunkelheit.
»Scheiße! Wo kamen die her?«, rief Fredrik und blieb abrupt stehen.
Wie seine drei Kollegen zog er seine Dienstwaffe, ging in die Knie und schaute sich in der Dunkelheit in alle Richtungen um.
»Ich glaube, das kam aus dem Park«, meinte Sara.
Sie begannen zum Haupteingang zurückzurennen. Sara war Irene auf den Fersen. Irene blieb bei der Pforte stehen, deren Klinke sie eben noch gedrückt hatte. Sie versuchte hinüberzuklettern, um schneller in den Park zu gelangen, aber das war unmöglich. Die Zacken oben auf der Pforte waren dafür vorgesehen, eventuelle Eindringlinge von ihrem Vorhaben abzuhalten. Außerdem fand sie mit ihren klobigen Uniformschuhen nirgendwo Halt.
»Renn weiter!«, rief sie Sara zu und sprang wieder hinunter.
Um nicht zu stolpern, mussten sie ihre Taschenlampen einschalten. Als sie sich dem Haus näherten, hörten sie Schreie und erregte Stimmen hinter der Mauer. Irene und Sara rannten gleichzeitig mit Fredrik und Ann durch das Haupttor. Zusammen eilten sie auf das festlich erleuchtete Haus zu. Die Lobby war menschenleer, und sie liefen weiter Richtung Restaurant, das ebenfalls leer war. Die hohen Türen auf die Ter rasse standen weit offen. Mehrere Frauen weinten lautstark, einige klammerten sich aneinander. Die meisten Leute standen auf dem Rasen unterhalb der Terrasse. In der unruhigen Menge konnte Irene ihre Kollegen in Uniform ausmachen. Als sie die Treppe der Terrasse erreicht hatte, hörte sie Stefan Bratt rufen:
»Beiseite! Beiseite, sage ich. Ja … der Krankenwagen ist unterwegs! Treten Sie
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