Im Schutz der Schatten: Roman (German Edition)
Hauptgebäudes. Die Polizisten hatten sich am Hauptentree postieren müssen, um das Kom men und Gehen zu beobachten. Gleichzeitig stellte die sichtbare Platzierung auch eine Warnung an die Gangster Lions dar: Wir haben euch im Auge!
Irene sah den Boss der Gangster Lions Danni Mara im Schein eines riesigen Kronleuchters in der Lobby stehen. Einige Meter dahinter zwei sehr große Männer, die ihre Umgebung scharf musterten. Auf ihrer Stirn hätte genauso gut »Leibwache« stehen können, dachte Irene. Sie wusste, es waren die Brüder Ali und Omid Reza. Die beiden Iraner hatten einer Gruppierung angehört, die aufgrund von Streitereien über Gewinne aus dem Rauschgifthandel zerschlagen worden war. Die Auseinandersetzung forderte damals zwei Tote und einen Schwerverletzten, der Rest der Truppe war für lange Zeit ins Gefängnis gewandert, auch die Brüder Reza. Ali und Omid galten als überaus brutale Zeitgenossen. Als sie aus dem Knast entlassen wurden, nahm Danni Mara Kontakt mit ihnen auf und bot ihnen die Posten als Leibwächter an. Und wer ein Angebot des Gangster-Lions-Bosses erhielt, schlug es wohlweislich nicht aus. Das Angebot war nicht verhandelbar, es handelte sich praktisch um einen Befehl. Also akzeptierten sie umgehend.
Die Gäste gaben Danni die Hand und überreichten Geschenke, überwiegend, wie es schien, in Umschlägen. Irene fiel auf, wie starr alle dastanden und wie unwohl sich die tätowierten Männer in ihren dunklen Anzügen und neuen Hemden fühlten. Sie begegneten ihrem Boss mit Respekt. Mehrere beugten sich sogar vor und deuteten einen Handkuss an. Hinter Danni Mara konnte Irene einen etwas jüngeren Mann ausmachen, in dem sie seinen Bruder und engsten Vertrauten Andy Mara erkannte. Die Brüder waren sich sehr ähnlich, vielleicht war Andy ja etwas schlanker.
Neben Danni stand eine junge Frau mit zwei kleinen Kindern. Das kleinere saß in einem Buggy. Der Junge hatte einen hellblauen Schnuller im Mund, der sich bewegte, als er mit großen Augen zu all den Leuten hinaufschaute. Seine große Schwester hielt ihre Mutter ganz fest an der Hand und starrte auf ihre roten Lackschuhe. Manchmal sah sie hastig zu jemandem hoch, der etwas zu ihr sagte, und lächelte schüchtern. Das Mädchen war vermutlich nicht älter als vier Jahre alt, aber die Ähnlichkeit mit der Mutter war unübersehbar. Sie war sehr hübsch. Die Mutter war schlank und grazil und hatte langes dunkelbraunes Haar, das in Locken auf den Rücken fiel. Ihr Kleid war ein Traum aus funkelnder elfenbeinweißer Seide und ließ ihre anmutigen Schultern frei.
»Ist das in dem weißen Kleid Dannis Frau?«, fragte Irene.
»Ja. Elif. Vor sechs Jahren war sie noch die schönste Achtzehnjährige Göteborgs. Danni entdeckte sie und fasste einen Beschluss. Er bekommt immer, was er will. Sie heirateten rasch, und alle Beteiligten waren zufrieden. Jetzt aber nicht mehr. Jedenfalls nicht Elifs Familie«, meinte Ann Wennberg.
»Warum nicht?«, wollte Irene wissen.
»Siehst du die Hochschwangere, die hinter ihnen steht? Auf der Treppe?«
Die junge Frau war kaum zu übersehen. Sie sah aus, als könnten jeden Moment die Wehen einsetzen. Im Unterschied zu den meisten anderen Gästen sah sie schwedisch aus. Sie hatte hellblondes Haar und blaue Augen.
»Sie ist neunzehn und heißt Jannike. Sie ist seit einem Jahr Dannis Geliebte. Offiziell ist sie mit Andy zusammen, mit Dannis Bruder, aber alle wissen, was Sache ist. Sie ist von Danni schwanger.«
»Und was sagt Andy dazu?«, wollte Irene wissen.
»Andy war immer Single. Es heißt, dass ihm Männer lieber sind. Aber das ist in den Banden und in ihren Familien vollkommen unakzeptabel. Das Arrangement sagt ihm also vermutlich ebenfalls zu. Auch schon Andys letzte Freundin soll Dannis Geliebte gewesen sein.«
»Danni ist seiner Frau also notorisch untreu?«
»Scheint so«, antwortete Ann.
Ihre Aufmerksamkeit richtete sich auf eine weiße Limousine, die vor dem Tor vorfuhr. Das hintere, getönte Seitenfenster glitt herab, und ein Gesicht tauchte auf. Das blondierte Haar des Mannes war wie bei den Besuchern der exklusiven Nachtclubs am Stockholmer Stureplan nach hinten gegelt, was bei einem Mann, der bereits ein gutes Stück über vierzig war und schütteres Haar hatte, nur lächerlich wirkte. Mit etwas Mühe zog er eine Brieftasche aus der Innentasche seines Smokings, fischte seinen Ausweis heraus und wedelte den Polizisten damit vor dem Gesicht herum. Ohne eine Miene zu verziehen, nahm einer der
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