Im Schutz der Schatten: Roman (German Edition)

größerer Spiegel gewesen waren. Ein Stück des Goldrahmens lag zwischen den Überresten der Tür. Vielleicht war dieser Spiegel ja ein Erbstück oder bei einer Auktion ersteigert worden. Das zersplitterte Glas funkelte in den verkohlten Trümmern.
    Irene hatte mit der schockierten Gunilla Åkesson telefoniert und einen Termin für vier Uhr im Präsidium vereinbart. Die Aussagen, die sich Irene notiert hatte, waren vielversprechend.
    Eine Verbindung zwischen den der Erpressung bezichtigten Bandenmitgliedern in Vänersborg und dem Gothia MC schien wahrscheinlich, und zwar in Gestalt des Toten vom Hafen, Patrik Karlsson. Sein Name tauchte bei der Ermittlung im Fall des iranischen Restaurantbesitzers auf. Bereits einige Monate zuvor wurde Patrik Karlsson als einer der Drogenlieferanten der Vänersborger Rockerbande genannt. Ein anonymer Zeuge hatte diese Information geliefert, die sich jedoch nicht erhärten ließ, und so war der Tipp zu den Akten gelegt worden. Gunilla Åkesson hatte sich daran erinnert, als der Mord an Patrik Karlsson Schlagzeilen machte. Diese Information erschien ihr jedoch hinsichtlich seiner Ermordung nicht relevant, und daher hatte sie bei der Polizei keine Meldung erstattet.
    Nach einem Telefonat mit mehreren Vänersborger Kollegen bot sich Irene ein recht klares Bild. Geboren war Patrik in Trollhättan. Als er zehn Jahre alt war, ließen sich seine Eltern scheiden, und er ging mit seiner Mutter nach Vänersborg. Seine Mutter lernte bald einen neuen Mann kennen und zog mit ihm nach Göteborg. Patrik hatte nur sporadischen Kontakt zu seinen Freunden in Vänersborg und seiner Verwandtschaft in Trollhättan. Die Fortsetzung der Geschichte war der Göteborger Polizei wohl bekannt, da Patrik bereits ein Jahr nach dem Umzug sowohl das Jugendamt als auch die Polizei beschäftigte. Er hatte sich in der Teenagergang Desperados, einer Untergruppe des Gothia MC , einen Namen gemacht und seine Karriere damit besiegelt. Ladendiebstähle und Einbrüche waren der Anfang, es folgten zwei Anzeigen wegen Körperverletzung und eine Verurteilung wegen schwerer Körperverletzung. Zwei Mal war er zudem des Drogenhandels für schuldig befunden worden. All dies geschah noch vor seinem achtzehnten Geburtstag, weshalb er in eine Jugendhaftanstalt eingewiesen wurde. Mit siebzehn unterzog er sich einer viermonatigen Entziehungskur, und mit neunzehn verbüßte er eine neunmonatige reguläre Haftstrafe wegen Drogenhandels. Dreizehn Monate vor seinem Tod wurde er wieder auf freien Fuß gesetzt und war danach nicht mehr aufgefallen. Während dieser Zeit wurde er vollwertiges Mitglied des Gothia MC .
    Irene sah alle Fakten, die während der Ermittlung des makaberen Mordes an ihm zusammengetragen worden waren, vor sich auf ihrem Bildschirm.
    Ihre Gedanken wanderten vom Mord an Patrik Karlsson zu dem der Tat Verdächtigen. Kazan Ekici, der schöne Jüngling, der den Ruf genoss, vollkom men auszurasten, wenn er Drogen konsumierte. Den Überwachungskameras zufolge hatte er sich zum fraglichen Zeitpunkt in der Gegend aufgehalten. Schade nur, dass es keine Überwachungskameras in unmittelbarer Nähe der Kolgruvegatan gab, dann wäre es ihm viel schwerer gefallen zu erklären, was er in Ringön verloren hatte. Jetzt hatte Kazan seinen Kopf nochmal aus der Schlinge ziehen können, weil sein Kumpel Fendi, der Fahrer, ihm ein Alibi verschafft hatte.
    Manchmal wünschte sich Irene, es gäbe in Schweden genauso viele Überwachungskameras wie in England. Eine Beeinträchtigung der Privatsphäre, argumentierten die Gegner. Bis zu einem gewissen Punkt stimmte sie zu, aber die Kameras waren heutzutage auch enorm hilfreich. Ermittlungen von Strafta ten krimineller Gruppen bereiteten der Polizei enorme Mühe, da Zeugen nur selten wagten auszusagen. Und taten sie es, wie der Iraner in Vänersborg, dann gerieten sie meist in noch größere Schwierigkeiten. Oft frustrierte es Irene sehr, wenn die Gerichte die Verdächtigen freisprechen oder wenn die Polizei die Ermittlungen aus Mangel an Beweisen einstellen mussten. Es galt, hieb- und stichfeste Beweise vorzulegen, anhand derer die Verbrecher überführt werden konnten, ohne dass Zeugen nötig waren. Überwachungskameras stellten in dieser Hinsicht eine große Hilfe dar.
    Irene war ganz sicher, dass Kazan Ekici in den Mord an Patrik Karlsson verwickelt war, sie musste es nur noch beweisen.
    Tommy und Irene war es gelungen, sich zu einem kleinen Chinarestaurant in der Odinsgatan davonzustehlen. Das