Im Schutz der Schatten: Roman (German Edition)
Essen war lausig, daher war es unwahrscheinlich, dass sie auf Kollegen trafen. Zwischen den Tischen standen zudem Trennwände, und moderne chinesische Popmusik machte jedes Lauschen un möglich. Das Personal wechselte ständig und sprach entweder gar kein oder nur sehr schlechtes Schwedisch. Der Verdacht illegaler Einwanderung oder sogar des Menschenhandels lag nahe. Aber das beschäftigte Irene im Moment nicht. Sie wollte einfach nur ungestört mit ihrem Chef und Freund reden. Und dazu war der Ort ideal.
In wenigen Worten erläuterte Irene ihre Überlegungen des Vormittags. Als sie geendet hatte, schwieg Tommy eine Weile und sah sie nachdenklich an. Dann brach er das Schweigen.
»Du willst Kazans Haus und das Auto, das auf seinen Vater angemeldet ist, nach Rauschgift durchsuchen. Und du willst ihn erneut vernehmen.«
Sie begnügte sich mit einem Nicken, um zu bestätigen, dass er sie richtig verstanden hatte. Er fuhr sich mit den Fingern durch sein spärliches Haar und fuhr fort:
»Außerdem willst du intensiv nach eventuellen Verbindungen zwischen dem Gothia MC und den Gangster Lions suchen. Ich bin deiner Meinung. Von außen gesehen scheint es mehrere Berührungspunkte zu geben.«
Irene beugte sich über ihren fast unberührten Teller vor, laut Speisekarte »drei kleine Gerichte«, optisch aber eher etwas, was Kitakinder aus Knetgummi hätten verfertigt haben können, und hielt einen Zeigefinger in die Luft.
»Erstens. Der Mord an Patrik Karlsson. Tatort, das ehemalige Clubhaus des Gothia MC . Wir wissen, dass sich Kazan und sein Kumpel Fendi in der Gegend aufhielten. Ich will den BMW nach eventuellen Spuren absuchen.«
Sie hielt den Mittelfinger in die Luft.
»Zweitens wissen wir, dass Kazan und Patrik ein gemeinsames Interesse teilten. Drogen. Beide haben eine Vergangenheit als Dealer, aber auch als Junkies. Sie benötigen Geld, weil Drogen Geld kosten. Und mit Drogen ist Geld zu verdienen. Irgendwo hier findet sich auch das Motiv für den Mord an Danni Mara. Der Krieg um den Rauschgiftmarkt.«
Sie zeigte drei Finger und fuhr fort:
»Die Sprengstoffanschläge. Wir wissen, dass der Sprengsatz an unserem Auto und der Sprengsatz, der beim Anschlag auf Gunilla Åkessons Haus verwendet wurde, mit der Autobombe, die Soran Siljac tötete, übereinstimmen. Die Sprengsätze deuten auf den Gothia MC hin.«
Sie holte Luft, um nachzudenken, dann bewegte sie den kleinen Finger und sagte:
»Und hier spielt natürlich auch die Misshandlung Ritva Ekholms eine Rolle. Diese Zeugin musste zum Schweigen gebracht werden.«
Tommy nickte und meinte:
»Du hast wirklich einen ungewöhnlich gut entwickelten Bulleninstinkt. Du weißt, dass ich immer sage … tja, du könntest auf der richtigen Spur sein. Aber …«
Jetzt war er damit an der Reihe, einen Finger zu heben, allerdings einen warnenden.
»Vergiss nicht unseren Informanten. Die Kollegen dürfen nichts erfahren. Kannst du diesen Dingen nachgehen, ohne dass die anderen etwas merken?«
»Ja.«
Die Antwort klang bedeutend sicherer, als sie sich fühlte. Aber Irene war klar, dass sie sich beeilen musste, ehe sich die Leute um sie herum Gedanken darüber machten, womit sie sich eigentlich beschäftigte. Sie musste dem Informanten einen Schritt voraus sein.
»Ich besorge dir einen Durchsuchungsbefehl für das Ekici-Haus. Wahrscheinlich kriegst du ihn heute Nachmittag«, sagte Tommy.
»Ich könnte nach meinem Gespräch mit Gunilla Åkesson hinfahren«, erwiderte Irene.
Tommy schüttelte nachdrücklich den Kopf.
»Nein. Das ist zu spät. Ich übernehme Åkesson. Es ist wichtiger, dass es jetzt schnell geht.«
Irene war erleichtert.Vor allem, weil sie keine Zeit damit verschwenden musste, die Staatsanwältin zu vernehmen, aber auch weil Tommy sie offensichtlich nicht für die Informantin im Präsidium hielt.
Sie wollte gewisse Vorbereitungen treffen, ehe sie sich auf den Weg machte.
Irene beschloss, mit wem sie in der Sache zusammenarbeiten wollte. Denn für ihr Vorhaben brauchte sie zwei Partner. Sie entschied sich für einen Kollegen, der unmöglich der Informant sein konnte. Dieser sollte jedoch keinerlei Möglichkeiten erhalten, je mand anderem die neugewonnenen Ergebnisse mitzuteilen. Zu Nummer zwei plante sie erst unmittelbar vor Beginn der Ermittlung Kontakt aufzunehmen.
Perfekt, dachte Irene, als sie ans Werk ging.
D er stellvertretende Kommissar Hannu Rauhala kehrte an diesem Morgen nach dreiwöchigem Urlaub ins Dezernat zurück – er konnte daher
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