Im sinnlichen Bann des Sizilianers
anderen die Verantwortung für seinen neunjährigen Sohn und verteidigte seine neue Familie vor der gesamten Gemeinde. Außerdem wagte er es, mit einer bedeutungsvollen Geste die Familienehre ihrer Großeltern wiederherzustellen.
„Sie sind Falconaris und gehören zu meiner Familie, da sie die Großeltern meiner Frau sind. Ihr Blut fließt in den Adern meines Sohnes“, erklärte Caesar mit tiefer, lauter Stimme. „Wo sollten sie also sonst beigesetzt werden?“
Die Dorfbewohner schienen beeindruckt zu sein, was Louise zutiefst freute. Denn sie selbst war genauso angenehm überrascht von dem Verhalten ihres Mannes. Indem er die Asche in der Familiengruft beisetzen ließ, enthob er ihre Großeltern endgültig jeglicher möglicher Kritik von außen.
Als moderne Frau war Louise zwar geneigt, sich gegen die Bedeutung und Tragweite männlicher Dominanz zu wehren, gleichzeitig war sie aber noch die Enkelin ihrer geliebten Großeltern. Und als solche wusste sie, wie viel ihnen diese wunderbare Zeremonie bedeutet hätte.
Vor allem ging sie an diesem Tag in ihrem mütterlichen Stolz auf. Oliver verhielt sich durchgehend vorbildlich und nahm den Anlass ausgesprochen ernst. Manchmal suchte er Rat und Hilfe bei seinem Vater, als wäre es das Selbstverständlichste der Welt. Auch ihr gegenüber war Ollie wieder wesentlich versöhnlicher, weil seine Suche nach Zugehörigkeit endlich beendet war.
Im Anschluss an die Trauerfeier versammelte sich die Gesellschaft auf dem Dorfplatz, wo ein Buffet unter Olivenbäumen aufgebaut worden war. Der Halbschatten machte den sonnigen Tag um ein Vielfaches erträglicher.
Die anwesenden Frauen bedachten Louise mit neugierigen Blicken und bildeten sich zweifellos ihre Meinungen über sie. Überwiegend schien es ihnen nicht zu gefallen, Louise als neue Herzogin zu akzeptieren. Ihre Reaktion auf Oliver war dagegen einhellig positiv: Sie konnten gar nicht genug von dem Jungen bekommen.
„Er ist durch und durch der Sohn seines Vaters“, kommentierte eine ältere Dame voller Anerkennung. „Von Kopf bis Fuß ein waschechter Falconari.“
Womit sie zugegebenermaßen recht hatte.
„Die beiden sehen unheimlich glücklich zusammen aus“, flüsterte Anna Maria Louise zu, nachdem sie sich neben ihr auf die alte Holzbank gesetzt hatte.
Louise nickte bedächtig. Es erfüllte sie mit Frieden und Zuversicht, Caesar und Ollie so vertraut miteinander zu sehen. Nur auf diese Weise konnte sie sich davon überzeugen, das Richtige getan zu haben. Ihre eigenen Gefühle waren zweitrangig, sie hatte Caesar geheiratet, um Oliver ein sorgenfreies Leben zu ermöglichen.
Der Kleine machte einen ausgeglichenen Eindruck, er war seiner Mutter gegenüber wieder richtig liebevoll, und er bewunderte seinen Vater glühend. Louise konnte sich gut vorstellen, zu was für einer wundervollen Persönlichkeit er unter Caesars Einfluss einmal heranreifen würde. Und Caesar liebte seinen Sohn über alles, auch wenn er für seine Ehefrau nicht das Gleiche empfand.
Dennoch schmerzte diese Erkenntnis, als würde jemand ein Messer in Louises Herz stoßen. Spontan hob sie die Hand und presste sie gegen ihre Rippen, um den Druck dort zu lindern. Warum machte ihr das derart zu schaffen? Sie war eine unabhängige Frau und wünschte sich doch gar nicht mehr, dass Caesar sie liebte. Das waren Teenieträume aus ihrer Vergangenheit, die in der Gegenwart keinen Platz mehr fanden.
Es würde doch voraussetzen, dass sie immer noch in ihn verliebt war. Was nicht stimmte … und auch nicht sein durfte. Denn sonst könnte ihr gemeinsamer Plan auf Dauer nicht funktionieren. Diese ewige Analyse der Vergangenheit mischte einfach ein paar Emotionen auf, die man leicht mit Liebe verwechseln konnte. Aber das war nicht echt, sondern nur eine Schwärmerei. Pure Nostalgie. Nebulöse Erinnerungen an etwas, das nicht wirklich existierte.
Oder war alles ganz anders?
Versuchte sie krampfhaft, etwas zu verharmlosen und zu verdrängen? Wollte ihr Herz eine andere Richtung einschlagen? Hatte es sich nie davon erholt, Caesar zu verlieren? Ach, das war ja lachhaft! Wie hätte sie all die Jahre heimlich in ihn verliebt sein können, ohne sich das selbst jemals richtig bewusst zu machen? Liebe konnte doch nicht einfach eingefroren werden, um nach einer gewissen Zeit wieder zum Leben zu erwachen?
Gab es so etwas?
„Du siehst furchtbar blass aus. Ist alles in Ordnung mit dir? Geht es dir nicht gut?“
Wie aus dem Nichts war Caesar an ihrer Seite
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