Im Sog der Angst
Lider. Ich ließ Allison schlafen, ging in ihre Küche, holte die Zeitung rein, suchte nach einem Bild des toten Mädchens und fand es nicht. Allison hatte am Vormittag Patienten und würde bald aufstehen, also machte ich mich an die Zubereitung des Frühstücks.
Kurz darauf kam sie in einem viel zu großen khakifarbenen T-Shirt und Plüschpantoffeln hereingeschlurft, die Nase schnuppernd erhoben, Schlaffalten im Gesicht, die Haare oben zusammengebunden.
»Eier«, sagte sie und rieb sich die Augen. »Gut geschlafen?«
»Perfekt.«
»Ich auch.« Sie gähnte. »Hab ich geschnarcht?«
»Nein«, antwortete ich wider besseres Wissen.
»Wie ein Stein«, sagte sie. »Bumm.«
Sie erinnerte sich nicht daran, mich geweckt zu haben, um festzustellen, ob es mir gut ging. Sie hatte sich in ihren Träumen Sorgen um mich gemacht.
Ich war seit fünfzehn Minuten zu Hause, als Milo aus seinem Auto anrief. Er atmete schwer, als wäre er bergauf gerannt. »Ich habe dich um neun zu erreichen versucht.«
»Ich hab die Nacht bei Allison verbracht.«
»Schön für dich«, sagte er. »Wie sieht dein Terminkalender heute aus?«
»Leer. Ich habe vielleicht einen Vornamen für das blonde Mädchen. Crystal oder Christa.«
»Wie hast du das rausbekommen?«
»Von Kayla Bartell. Es ist eine kleine Geschichte...«<
»Erzähl sie mir, wenn ich bei dir bin. Ich bin schon an der Kreuzung Sepulveda und Wilshire. Logiert das Hündchen noch bei dir?«
»Nein, er ist weg.«
»Okay, dann esse ich diesen Kaustreifen selber.« Er trug einen traurigen grauen Anzug, ein schlammbraunes Hemd und einen grauen Polyesterschlips, als er das Haus betrat, und kaute auf dem dicksten Stück Trockenfleisch, das ich je gesehen hatte.
»Was ist das?«, fragte ich. »Python-Pemmikan?«
»Büffel, fettarm und salzarm. Sonderangebot bei Trader Joe’s.« Seine Haare waren platt gedrückt, und seine Augen waren rot. Wir gingen in die Küche.
»Erzähl mir die Geschichte.«
Ich berichtete von meinem Gespräch mit Kayla.
»Kleine Kleptomanin, wie?«, sagte er. »Und du hast den bösen Cop gespielt. Gute Arbeit.«
»Es war vermutlich illegal.«
»Es war ein Schwätzchen zwischen zwei Erwachsenen.« Er zog an seinem Krawattenknoten. »Gibt’s Kaffee?«
»Ich hab noch keinen gemacht.«
»Kein Problem, ich bin sowieso aufgedreht … Christa oder Crystal. Warum hat Kayla sie für eine Stripperin gehalten?«
»Weil Gavin gesagt hat, sie wäre eine Tänzerin«, erwiderte ich.
»Na ja«, sagte er, »was ist wahrscheinlicher, wenn du einem Mädchen den Namen Crystal gibst? Dass sie ihren Doktor in Biomechanik macht oder dass sie schließlich mit dem Hintern wackelt, um Geld zugesteckt zu bekommen?« Er zog sein Jackett aus und warf es über einen Stuhl. Seit seiner Ankunft war die Luft aufgewühlt.
»Kayla hat auch gesagt, sie hätte wie ein Junkie ausgesehen.«
»Beim Gerichtsmediziner haben sie keine Rückstände gefunden. Was ist mit der Times ?«
»Die haben ihren eigenen Terminplan«, sagte ich. »Warum hast du nach meinem gefragt?«
Er zog ein Blatt Papier aus einer Tasche seines Jacketts und gab es mir. Eine getippte Liste.
1. 1999 Ford Explorer. Bennett A. Hacker, 48, Franklin Avenue, Hollywood.
2. 1995 Lincoln-Limousine. Raymond R. Degussa, 41, Postfach in Venice.
3. 2001 Mercedes-Benz-Limousine. Albin Larsen, 56, Santa Monica.
4. 1995 Mercedes-Benz-Limousine. Jerome A. Quick, 48, Beverly Hills.
»Angaben der Zulassungsstelle zu Gavins Liste«, sagte er.
»Gavin hat das Autokennzeichen seines Vaters aufgeschrieben?«
»Merkwürdig, nicht wahr? Könnte das mit seinem Gehirnschaden zusammenhängen? Habt ihr Experten ein Wort dafür?«
»›Übereinschließung‹ … Aber etwas anderes springt mir ins Auge. Quicks Wagen ist als letzter aufgeführt. Wenn Gavin den Wagen seines Vaters entdeckt, sollte man doch annehmen, dass das zuerst seine Aufmerksamkeit erregt.«
»Es sei denn, er hat die Wagen in der Reihenfolge ihres Eintreffens notiert, und Daddy ist als Letzter gekommen.«
»Kann gut sein«, sagte ich. »Was ist also deine Vermutung, eine Art Meeting?«
Er nickte. »Quick und Albin Larsen und die beiden andern. Die große Frage ist, warum hat Gavin Daddy observiert? Sieht für mich ganz danach aus, als führte Daddy nichts Gutes im Schilde und hätte deshalb Gavins Zimmer ausgeräumt - um irgendwelche Beweise verschwinden zu lassen, auf die sein Sohn vielleicht gestoßen war. Dann verlässt er die Stadt - sein Sohn ist gerade ermordet
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