Im Sog der Angst
zusammen. Das schien ihm Spaß zu machen.
Er schluckte und sagte: »Eine vorbildliche Familie.«
»Sie eignen sich nicht als Reklame für das häusliche Leben«, erwiderte ich. »Aber der Vater könnte Recht haben, und dann spielt es keine Rolle.«
»Pervertierter Fremder tötet seinen Sohn. Das distanziert es mit Sicherheit von der Familie.«
»Ich sehe das nicht als Familienverbrechen«, sagte ich. »Dass die Familie das Mädchen nicht kennt, könnte bedeuten, dass sie die Art von Mädchen ist, die man Mutter nicht vorstellt. Was ein Hinweis darauf sein könnte, dass sie das Primärziel war.«
»Jemand mit gefährlichen Freunden.«
»Der Mörder hat sie aufgespießt und ihre Handtasche mitgenommen. Das könnte heißen, dass er eine Trophäe haben wollte, aber vielleicht wollte er auch, dass sie nicht so schnell identifiziert wird.«
»Das Primärziel in sexueller Hinsicht, als gewöhnliches Mordopfer oder als Opfer eines Sexualmords?«
»Keine Ahnung«, sagte ich. »Es gab keine Vergewaltigung, aber die Pfählung hat in meinen Augen eine sexuelle Qualität. Gavin wurde mit einer Kugel erschossen - er wurde ausgeschaltet. Das lässt sich damit vereinbaren, dass der Mörder ihn aus dem Weg schaffen wollte, damit er sich seinem eigentlichen Anliegen widmen konnte.«
» Falls Gavin zuerst erschossen wurde. Das können wir nie und nimmer verifizieren.«
»Das ist nur logisch«, sagte ich. »Das Mädchen war am Leben, als der Mörder sie aufgespießt hat. Es ist unwahrscheinlich, dass Gavin tatenlos daneben gesessen hätte, während das passierte. Oder dass der Mörder das Risiko eingegangen wäre, mit einem gesunden jungen Mann zu kämpfen. Er tötete Gavin mit einem Schuss und wandte sich dann dem Mädchen zu. Sie war völlig eingeschüchtert, weil sie Todesangst hatte und der Mörder von überwältigender Dominanz war. Vielleicht hat er ihr versprochen, er würde ihr nicht wehtun, wenn sie keinen Widerstand leistet. Gibt es irgendwelche Anzeichen dafür, dass sie sich gewehrt hat?«
Er schüttelte den Kopf.
»Sie sah zu, wie Gavin ermordet wurde«, sagte ich, »saß da, zu Tode erschrocken, und hoffte, mit dem Leben davonzukommen. Der Mörder pfählte sie mit dem Speer, und dann erschoss er auch sie. Meiner Ansicht nach spricht das für eine ungeheure Wut. Als beide Kids tot waren, hatte er Zeit, sein Werk zu inspizieren, den Tatort nach seinen Wünschen zu verändern. Entweder hatten Gavin und das Mädchen bereits ein sexuell aufgeladenes Tableau entwickelt, oder er hat es eingerichtet. Entweder, weil es tatsächlich ein Sexualverbrechen war, oder weil er wollte, dass es so aussieht.«
Milo legte sein Sandwich hin. »Du bietest mir eine große Auswahl.«
»Wofür sind Freunde da?«, erwiderte ich. »Sind dir irgendwelche anderen Morde mit einer Pfählung untergekommen?«
»Bis jetzt nicht.« Er nahm sein Sandwich in die Hand, und ein großes Stück verschwand in seinem Schlund. »Glaubst du, das Kondom gehörte Gavin, oder hat es der Mörder mitgebracht?«
»Es war in seiner Tasche, also gehörte es wahrscheinlich ihm.«
»Glaubst du also, Gavins Seelenleben zu erforschen wäre Zeitverschwendung? Ich dachte mir, seine Therapeutin könnte uns vielleicht weiterhelfen. Und du kennst sie bereits.«
»Ich weiß, wer sie ist.«
»Weil sie im Fernsehen war.«
Da wären wir also. Ich versteckte meinen Mund hinter meiner Kaffeetasse.
»Du verziehst dein Gesicht, wenn du von ihr sprichst«, sagte er.
»Ich würde keinen Patienten an sie überweisen«, erwiderte ich.
»Warum nicht?«
»Ich kann nicht in die Details gehen.«
»Dann beschränk dich auf das Wesentliche.«
Vor fünf Jahren hatte mich ein im Übrigen aufmerksamer Richter gebeten, ein siebenjähriges Mädchen zu untersuchen, das in eine hässliche Scheidung verwickelt war. Beide Eltern waren ausgebildete Eheberater. Das hätte mir Warnung genug sein müssen.
Die Mutter war eine junge, passive, außergewöhnlich ängstliche Frau mit verkniffenem Gesicht, deren Eltern gewalttätige Alkoholiker gewesen waren und die inzwischen nicht mehr Paare beriet, sondern rückfällige Drogensüchtige in einer vom County finanzierten Klinik in Bellflower abfertigte. Ihr zwanzig Jahre älterer Exmann war ein aufgeblasener Psychopath, ein frisch gebackener Sextherapeut und Guru mit einem Dr. phil. von einer Eliteuniversität und einem neuen Job an einem Yoga-Institut in Santa Barbara.
Die zwei hatten mehr als ein Jahr nicht miteinander geredet, aber beide
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