Im Sog der Angst
bestanden auf einem gemeinsamen Sorgerecht. Die Regelung sollte einfach sein: drei Tage bei dem einen Elternteil, vier Tage bei dem anderen. Keiner der beiden sah ein Problem darin, ein sieben Jahre altes Mädchen neunzig Meilen zwischen dem Lehmziegelhaus ihres Vaters im Aschram und der traurigen möblierten Wohnung der Mutter in Glendale hin und her zu kutschieren. Der angebliche Kern des Konflikts war der Kalender - wer bekam vier Tage, wer bekam drei, und was war mit den Ferien? Nach zwei Monaten heftiger Debatte wechselte das Thema, so dass es nun darum ging, die von der Mutter befürwortete konventionelle Ernährung mit der veganischen Diät abzustimmen, die sich der Vater zu Eigen gemacht hatte.
Den wahren Kern bildeten gegenseitiger Hass, zweihunderttausend Dollar auf einem gemeinsamen Anlagekonto und die angebliche sexuelle Unersättlichkeit der vier Freundinnen des Vaters.
Wenn ich Gutachten in Sorgerechtsfällen erstelle, lege ich Wert darauf, mich mit den Therapeuten zu unterhalten, und jeder dieser Kombattanten hatte einen. Der des Vaters war ein achtzig Jahre alter indischer Swami, der Englisch mit einem starken Akzent sprach und Medikamente gegen erhöhten Blutdruck nahm. Ich machte einen Ausflug nach Santa Barbara, verbrachte angenehme zwei Stunden mit dem korpulenten, bärtigen Burschen, atmete Weihrauch ein und erfuhr nichts Wesentliches. Der Vater hatte seit sechs Monaten keinen Termin mit seinem Avatar eingehalten.
»Ist das in Ihren Augen in Ordnung?«, fragte ich den Swami.
Er gab seinen Lotussitz auf und machte irgendetwas Unmögliches mit seinem Körper, zwinkerte mir zu und lächelte. »Whatever will be, will be.«
»Das ist eine Zeile aus einem Lied.«
»Von Doris Day«, sagte er. »Eine wunderbare Sängerin.«
Die Psychotherapeutin der Mutter war Mary Lou Koppel, und sie weigerte sich, mit mir zu sprechen.
Zunächst ging sie mir völlig aus dem Weg, indem sie meine Anrufe ignorierte. Nach meinem fünften Kontaktversuch rief sie zurück und erläuterte ihren Standpunkt. »Ich bin sicher, Sie verstehen mich, Dr. Delaware. Die ärztliche Schweigepf licht.«
»Dr. Wetmore hat ihr Einverständnis erklärt.«
»Das ist leider nicht ihre Sache.«
»Wessen denn?«
Das Telefon knisterte. »Ich meine das konzeptuell, nicht juristisch«, sagte sie. »Teresa Wetmore befindet sich in einer äußerst heiklen Situation. Thad ist extrem abusiv, wie Sie sicher wissen.«
»In physischer Hinsicht?«
»Emotional«, erwiderte sie. »Da, wo es drauf ankommt. Teresa und ich machen Fortschritte, aber das braucht seine Zeit. Ich darf nicht das Risiko eingehen, die Dämonen von der Leine zu lassen.«
»Es geht mir um das Kind.«
»Sie haben Ihre Prioritäten, ich habe meine.«
»Dr. Koppel, ich bin an allen Einblicken interessiert, die Sie mir geben können, sofern sie für meine Empfehlungen dem Gericht gegenüber hilfreich sind.«
In der Leitung herrschte Schweigen. Und statisches Rauschen.
»Dr. Koppel?«
»Der einzige Einblick, den ich Ihnen geben kann, Dr. Delaware«, sagte sie, »besteht darin, Thad Wetmore wie die Pest zu meiden.«
»Hatten Sie Schwierigkeiten mit ihm?«
»Ich bin ihm nie begegnet, Dr. Delaware. Und ich habe nicht vor, daran etwas zu ändern.«
Als ich ihr einen Brief schrieb, in dem ich auf unser Gespräch einging, wurde dieser ungeöffnet zurückgeschickt. Der Sorgerechtsfall zog sich hin, bis den Wetmores das Geld ausging und die Anwälte aufgaben. Der Richter folgte meiner Empfehlung: Beide Eltern benötigten eine umfassende pädagogische Ausbildung in Sachen Kinderziehung, bevor eine gemeinsame Ausübung des Sorgerechts in Frage kam. Auf keinen Fall lag eine wöchentliche Rundfahrt von zweihundert Meilen im Interesse des Kindes. Als der Richter fragte, ob ich gerne die Ausbildung der Eltern übernehmen würde, sagte ich, ich würde ihm eine Liste von Namen zur Verfügung stellen, und machte mir Gedanken, über wen von meinen Kollegen ich mich in letzter Zeit geärgert hatte.
Drei Monate später legten Teresa und Thaddeus Wetmore getrennt bei der staatlichen Aufsichtsbehörde für niedergelassene Psychologen aus ethischen Gründen Beschwerde gegen mich ein. Es dauerte einige Zeit, dagegen vorzugehen, aber schließlich wurden die Klagen als unbegründet abgewiesen. Kurze Zeit später schien Dr. Mary Lou Koppel auf allen Frequenzen aufzutauchen.
Eine Expertin in Fragen der Kommunikation in Zweierbeziehungen. Milo schluckte den letzten großen Bissen seines Sandwichs
Weitere Kostenlose Bücher