Im Sog der Angst
ihr Arbeitszimmer, damit Milo ihre Papiere durchsehen konnte. Es dauerte nicht lange, bis es interessant wurde.
Das Arbeitszimmer war so ordentlich wie der Rest des Hauses. Ein rechteckiger Papierstapel lag unter einem Briefbeschwerer aus rotem Kristall in Form einer Rose auf dem zierlichen Empireschreibtisch. Nicht ganz in der Mitte, neben einem vergoldeten Tintenlöscher aus Leder und vor der Schreibtischgarnitur aus Sterlingsilber, von der die Mordwaffe stammte.
Milo nahm zuerst die Schubladen in Angriff, fand Mary Lou Koppels Finanz- und Steuerunterlagen und einen Stapel Briefe von Leuten, die ihre Sendungen gehört und eine dezidierte Meinung dazu hatten, für und wider.
Die Briefe bündelte er und stopfte sie in einen Umschlag.
»Sie hat zweihundertsechzig Riesen pro Jahr an Patientenhonoraren und weitere sechzig aus öffentlichen Auftritten und Kapitalanlagen angegeben«, sagte er. »Gar nicht schlecht.«
Aus Gerichtsunterlagen in einer der unteren Schubladen ging hervor, dass sie vor zweiundzwanzig Jahren geschieden worden war.
»Ihr Mann hieß Edward Michael Koppel«, sagte er, während er mit dem Finger über die Druckzeilen fuhr. »Als die Scheidungspapiere eingereicht wurden, war er Jurastudent an der Uni … unvereinbare Differenzen, Vermögensteilung … die Ehe dauerte weniger als zwei Jahre, keine Kinder...«<
Er wandte sich wieder der Oberfläche des Schreibtischs zu, schob den rosenförmigen Briefbeschwerer weg und nahm den Papierstapel in die Hand.
Obenauf lag Gavins Krankenakte.
16
Eine dünne Akte.
Milo brauchte nicht lange, um sie durchzulesen, und als er fertig war, hatte er die Zähne fest zusammengebissen und die Schultern hochgezogen.
Er hielt sie mir hin.
Mary Lou Koppel hatte eine detaillierte Anamnese für ihre Behandlung von Gavin Quick niedergeschrieben, aber ihre anschließenden Notizen waren oberflächlich.
Die Anamnese war aufschlussreich genug.
Gavin war nicht zu ihr gekommen, weil er an posttraumatischem Stress wegen seines Unfalls litt. Die Therapie war die Auflage eines Richters aus dem Orange County gewesen. Statt einer Freiheitsstrafe, nachdem er vier Monate zuvor überführt worden war, einer Frau aus Tustin namens Beth Gallegos nachgestellt zu haben.
Gallegos war eine Beschäftigungstherapeutin am St. John’s Hospital gewesen, wo sie Gavin nach seinem Unfall behandelt hatte. Koppels Notizen zufolge hatte Gavin ihr gegenüber eine pathologische Anhänglichkeit entwickelt, was Gallegos veranlasste, seine Betreuung einer anderen Therapeutin zu übertragen. Gavin versuchte beharrlich weiter, sich mit ihr zu verabreden, rief sie zu Hause an, manchmal häufiger als zwanzigmal pro Nacht, bevor er seine Versuche auf Weckrufe am frühen Morgen ausdehnte, bei denen er weinte und ihr seine Liebe erklärte.
Er schrieb Beth Gallegos lange Liebesbriefe und schickte sie ihr zusammen mit Schmuck und Parfüms. An jedem Tag einer Woche voll fieberhafter Aktivität ließ er zwei Dutzend Rosen ins St. John’s liefern.
Als Beth Gallegos kündigte und einen Arbeitsplatz in einer Rehabilitationsklinik in Long Beach fand, schaffte es Gavin, sie dort aufzuspüren, und nahm seine Annäherungsversuche wieder auf.
Da Gallegos von Gavins Kopfverletzung wusste, verzichtete sie auf eine Strafanzeige, aber als er mitten in der Nacht vor ihrer Wohnung auftauchte, gegen die Tür hämmerte und darauf bestand, eingelassen zu werden, rief sie die Polizei. Gavin wurde wegen öffentlicher Ruhestörung festgenommen, aber die Cops sagten Gallegos, falls sie eine ernstere Anklage haben wolle, müsse sie eine gerichtliche Verbotsverfügung erwirken.
Sie verhandelte mit Gavins Eltern: Falls er sie in Ruhe ließe, würde sie die Sache nicht weiter verfolgen.
Gavin war einverstanden, aber eine Woche später setzten die Telefonanrufe wieder ein. Beth Gallegos erwirkte die Verfügung, und als Gavin gegen sie verstieß, indem er auf dem Parkplatz der Klinik in Long Beach auf sie wartete, wurde er als Stalker inhaftiert.
Wegen seines Unfalls wurde ihm gestattet, sich eines geringfügigeren Vergehens - Belästigung - schuldig zu bekennen, wenn er sich dazu verpflichtete, psychiatrische Hilfe in Anspruch zu nehmen. Sein Anwalt stellte den Antrag, einen Psychotherapeuten vorschlagen zu dürfen. Als diesem Antrag stattgegeben wurde und kein Widerspruch der Staatsanwaltschaft erfolgte, stimmte das Gericht der Überweisung Gavins an Dr. Franco Gull zu.
Koppel hatte festgehalten, dass sie das Gericht über
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