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Im Sog der Angst

Im Sog der Angst

Titel: Im Sog der Angst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Kellerman
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Gehirnschaden zusammenhängen könnte. Was meinst du?«
    »Eine andere Form von zwanghaftem Verhalten«, sagte ich. »Klar, das könnte zu einer Verletzung der Stirnlappen passen. Andererseits muss man in Betracht ziehen, dass der rachsüchtige Freund nicht zu der Blondine gehörte. Er ist Beth Gallegos’ Verehrer. Was ist, wenn Gavin seine Bewährungsauflagen verletzt hat und wieder angefangen hat, ihr nachzustellen?«
    »Also stellt der Freund seinerseits Gavin nach und legt ihn und die Blondine um? Und Koppel?«
    »Über Leidenschaft lässt sich nicht streiten«, erwiderte ich.
    »Okay«, sagte er, »statten wir dem Objekt von Gavins Leidenschaft einen Besuch ab.«
    Nach ein paar Telefonaten stellte sich heraus, dass Beth Gallegos erneut den Arbeitsplatz gewechselt hatte, von der Klinik in Long Beach zu einer Firma für sensomotorische Traumatherapie in Westwood.
    »Westwood liegt neben Beverly Hills«, sagte ich, als wir auf dem Weg dorthin waren. »Ich bezweifle, dass sie es riskiert hätte, falls Gavin ihr immer noch nachstellte.«
    »Das werden wir sehen.«
    Beth Gallegos sah absolut umwerfend aus. Das trug in keiner Weise dazu bei, Gavins Obsession zu erklären - einem anderen Menschen zwanghaft nachzustellen ist ein psychopathologisches Phänomen, und es trifft unattraktive Menschen genauso oft wie solche, die toll aussehen -, es war einfach eine Tatsache.
    Sie war zierlich, schwarzhaarig und dunkelhäutig, trug eine hellblaue Uniform, die darauf angelegt, aber dennoch nicht in der Lage war, ihre schmale Taille, die ausladenden Hüften und die wohl geformten Brüste unkenntlich zu machen. Ihre Augen waren bernsteinfarben, ihre Wimpern lang. Sie war siebenundzwanzig Jahre alt und sah ohne Make-up wie achtzehn aus. Ihre Nägel waren unlackiert und kurz geschnitten. Das geschmeidige, gewellte schwarze Haar war mit einem Gummiband zu einem Pferdeschwanz zurückgebunden.
    Um Unauffälligkeit bemüht. Ihr vollkommen ovales Gesicht, ihre fein geschnittenen Züge und ihr üppiger Körper verurteilten ihre Bemühungen zum Scheitern.
    Es war ihr unangenehm, in der Eingangshalle ihrer Firma mit uns zu reden, und daher fuhren wir mit dem Aufzug zu dem Café im Erdgeschoss. Eine junge Kellnerin kam lächelnd auf uns zu, aber obwohl Milo das Lächeln erwiderte, wischte irgendetwas an seiner Begrüßung die Freude aus ihrem Gesicht.
    Beth Gallegos bestellte Tee, Milo und ich nahmen Cola. Als die Getränke kamen, drückte er der Kellnerin einen Geldschein in die Hand. Sie ging schnell weg und kam nicht mehr wieder.
    Gallegos war seit unserer Ankunft nervös, und Milo versuchte ihr durch Smalltalk über ihren Job die Befangenheit zu nehmen. Das Unternehmen, für das sie arbeitete, trug den Namen Comprehensive Rehab und war auf die Behandlung von Leuten spezialisiert, die einen Schlaganfall erlitten hatten. Ihre Aufgabe bestand darin, die feinmotorischen Fertigkeiten von Patienten wiederherzustellen. Sie fand ihre Arbeit befriedigend.
    »Das klingt auch danach«, sagte Milo.
    Gallegos fingerte an ihrer Teetasse herum und wich unseren Blicken aus.
    »Reden wir über Gavin Quick«, sagte Milo. »Haben Sie gehört, was mit ihm passiert ist?«
    »Ja. Ich habe es in der Zeitung gelesen. Es war schrecklich. Ich habe geweint.« Sie hatte eine leicht nasale Kleinmädchenstimme und schmale Hände mit glatten Fingern. Ein mit Diamantensplittern besetzter Ring saß am Ringfinger ihrer linken Hand.
    Mehr als ein Freund.
    »Sie haben geweint?«, fragte Milo.
    »Ja, ich fühlte mich furchtbar. Trotz allem, was ich wegen Gavin durchgemacht habe. Weil ich wusste, was er durchgemacht hatte. Weil ich wusste, dass das SHT dafür verantwortlich war.«
    Milo blinzelte.
    »Schädel-Hirn-Trauma«, sagte ich.
    Beth Gallegos nickte und löffelte Zucker in ihren Tee, trank aber nicht davon. »SHTs sind in dieser Hinsicht merkwürdig. Manchmal kann man bei einem Scan nichts erkennen, aber die Betroffenen ändern sich radikal. Ich bin sicher, dass Gavin diese Sachen nicht gemacht hätte, wenn dieser Unfall nicht gewesen wäre.«
    »Sind Sie von anderen Männern mit Hirnschäden verfolgt worden?«, fragte Milo.
    Gallegos schlug die Hand vor den Mund. »Nein, Gott verhüte, dass ich so was mehr als einmal durchmachen muss. Ich will damit nur sagen, dass das Gehirn alles kontrolliert, und wenn es in Mitleidenschaft gezogen wird, bekommt man Schwierigkeiten. Das ist der Grund dafür, dass ich alles tat, was ich konnte, damit Gavin nicht vor Gericht

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