Im Sog der Angst
Gavins Wechsel von Gull zu ihr unterrichtet hatte.
Sie hatte sich juristisch abgesichert.
»Dem Pt. fehlt es an Verständnis« , schrieb sie am Ende der Anamnese. »Sieht nicht ein, was er falsch gemacht hat. Mögl. Rel. zu Kopfverletzung. Th. wird Nachdruck auf Einsicht und Beachtung der Privatsphäre legen.«
Ich gab Milo die Akte zurück.
Er ließ seine Knöchel knacken, und seine dicken schwarzen Augenbrauen zogen sich über zornig dreinblickenden-Augen zusammen.
»Fein«, murmelte er. »Niemand denkt daran, mir etwas davon zu sagen.«
»Die Quicks wollten vermutlich Gavins Andenken in Ehren halten. Angesichts dessen und der traumatischen Erfahrung von Gavins Ermordung wäre ich nicht überrascht, wenn sie es ›vergessen‹ hätten.«
»Ja, ja, ja, aber der gottverdammte Bezirksstaatsanwalt von Orange County? Das gottverdammte Gericht? Die gottverdammte Mary Lou? Der Junge wird umgebracht, und niemand denkt daran, mir zu sagen, dass er vor weniger als einem halben Jahr ziemlich seltsam geworden ist und jemanden sehr, sehr unglücklich gemacht hat.«
»Der Mord ist nicht in den Nachrichten gekommen.«
»Ich habe Fernschreiben und Bitten um Informationen über die Blondine an alle Dienststellen in der Umgebung geschickt, einschließlich der Polizei von Tustin, und Gavins Name ist gar nicht zu übersehen. Zweifellos liegen sie in irgendwelchen gottverdammten Eingangskörben.« Er versuchte noch ein paar Knöchel knacken zu lassen, aber es blieb still. »Wenn nur die Öffentlichkeit Bescheid wüsste … okay, der Junge ist Frauen nachgestiegen, die Karten sind völlig neu gemischt.«
»Was würde das für den Mord an Koppel bedeuten?«, fragte ich. »Oder den an Flora Newsome?«
»Woher zum Teufel soll ich das wissen!«, schrie er.
Ich sagte nichts.
»Tut mir Leid«, murmelte er. »Koppel ist vermutlich gestorben, weil sie etwas über Gavin wusste. Was das sein mag, ist mir völlig schleierhaft, aber so muss es sein. Was Newsome betrifft, sieht es so aus, als hätte Lorraine Recht damit, dass ich zu viel in die Ähnlichkeiten zwischen den Fällen hineingelesen habe und zu wenig in die Unterschiede.« Er steckte die Akte ein, blätterte den Rest des Stapels durch, murmelte: »Rechnungen, Abonnementanträge, Müll«, und legte ihn wieder auf den Schreibtisch. »Ich habe mich tatsächlich hierfür freiwillig gemeldet«, sagte er dann.
Ich dachte: Du brauchst die Herausforderung, sagte aber nichts.
»Im Moment«, erklärte er, »bleibt Newsome Lorraines Problem, und ich kümmere mich um Gavin. Und all die Komplikationen, für die er gesorgt hat. Der verrückte kleine Mistkerl.«
17
Die Ermordung Mary Lou Koppels wurde auf die übliche Weise in den Nachrichten gebracht: jede Menge Aufregung, kein Licht, ein bisschen Füllmaterial für die Zeitungen, ein paar Absätze für die frechen Texte, die von Fernsehlächlern mit strahlendem Blick abgelesen wurden, die sich für Journalisten ausgaben. Da ihnen wenig gerichtsmedizinische Details zur Verfügung standen, holten die Nachrichtenleute so viel aus den Übergriffen des Opfers in ihr Revier heraus, wie sie nur konnten. Die Attribute »clever« und »medienversiert« wurden mit der üblicherweise Klischees vorbehaltenen Begeisterung stark strapaziert.
Am nächsten Tag war die Story gegessen.
Milo schlug den Dienstweg ein und bat die Presseabteilung des LAPD, dem Gesicht der blonden jungen Frau ein wenig Publicity zu verschaffen. Der Aufhänger, den er präsentierte, war die mögliche Verbindung zu einer größeren Story als dem Mord an zwei jungen Leuten, nämlich zu der Ermordung Koppels. Die PR-Cops bezweifelten die Stichhaltigkeit seiner Gründe für diese Behauptung, sagten, auf keinen Fall brächten Fernsehsender das Foto einer echten Toten, sagten, sie wären zugeschüttet mit allen möglichen Bitten anderer Detectives um Publicity, versprachen aber, sie würden die Sache prüfen.
Ich kam kurz nach ihm in seinem Büro an und saß da, während er sich aus seinem Jackett herauskämpfte, das ihn zu erwürgen schien. Am Ende seiner Bemühungen saß sein Schlips schief, und das Hemd hing ihm aus der Hose. Er saß auf der Kante seines Schreibtischs, las eine Nachricht auf einem Zettel und tippte die Nummer einer Nebenstelle in das Haustelefon. »Sean? Kommen Sie mal her.«
»Irgendwas Neues im Fall Koppel?«, fragte ich.
»Oh. Hallo. Die Gerichtsmedizinerin vermutet, dass der Tod irgendwann gestern Nacht oder am frühen Morgen eingetreten ist. Kein
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