Im Sog der Angst
vernichten?«
»Das ist etwas, das jeder Therapeut für sich selbst entscheidet.«
»Was ist mit Ihnen und Dr. Larsen?«
»Ich hebe meine Akten zwei Jahre lang auf. Wie hältst du es, Albin?«
»Das hängt davon ab«, erwiderte Larsen, »aber im Allgemeinen genauso.«
»Es gibt keine offizielle Gruppenpolitik?«, fragte Milo.
»Wir sind keine offizielle Gruppe«, sagte Larsen. »Wir bilden eine Bürogemeinschaft.«
»Was geschieht also jetzt mit Dr. Koppels aktiven Patienten? In Fragen ihrer Behandlung?«
Franco Gull sagte: »Wer seine Therapie bei Albin oder mir fortsetzen möchte, kann das tun. Falls jemand lieber zu einer Therapeutin geht, schreiben wir gern eine Überweisung.«
»Klingt ziemlich gut organisiert«, erwiderte Milo.
»Das müssen wir sein. Wie Albin bereits sagte, haben wir es mit extremer Verletzlichkeit zu tun. Was könnte für jemanden, der dringend einer Therapie bedarf, schlimmer sein, als plötzlich auf die Straße gesetzt zu werden?« Gull schüttelte den Kopf, und seine gewellten Haare vibrierten. »Es ist ein Albtraum für sie und für uns. Unglaublich.«
»Der Mord an Dr. Koppel.«
Gulls traurige Augen zogen sich zusammen. »Reden wir von irgendetwas anderem?«
Albin Larsen spießte eine Tomate auf, aß sie aber nicht.
»Es ist ein großer Verlust«, sagte Gull. »Für ihre Patienten, für uns, für … Mary war lebhaft, hoch begabt, dynamisch. Sie war jemand, von dem ich gelernt habe, Detective. Es ist schwer zu begreifen, dass sie wirklich weg ist.«
Er warf einen Blick zu Larsen.
Larsen spielte mit einem Salatblatt und sagte: »So ausgelöscht zu werden.« Er wischte sich die Augen. »Wir haben eine liebe Freundin verloren.«
»Haben Sie eine Ahnung, wer es getan hat?«, fragte Franco Gull.
Milo stützte seine Ellbogen auf den Picknicktisch. »Ich weiß, dass Sie durch Ihre Schweigepflicht gebunden sind, meine Herren, aber eine ernsthafte Bedrohung macht das hinfällig. Hat einer von Ihnen Kenntnis davon erlangt, dass irgendein Patient eine Drohung gegen Dr. Koppel ausgesprochen hat? Irgendein Patient, der ihr etwas sehr verübelt hat?«
»Ein Patient?«, sagte Gull. »Warum sollten Sie so etwas auch nur denken?«
»Ich denke die verschiedensten Dinge, Dr. Gull. Ich versuche, an alles zu denken.«
»Nein«, sagte Gull. »Solche Patienten gibt es nicht. Absolut nicht.« Er griff nach einer Serviette, wischte sich noch mal die Stirn ab.
Milo warf einen Blick zu Albin Larsen. Larsen schüttelte den Kopf.
»Dr. Koppel hatte mit gestörten Leuten zu tun«, sagte Milo. »Es scheint logisch zu sein, damit anzufangen.«
»Theoretisch ja«, erwiderte Gull, »aber es trifft nicht auf unsere Praxis zu. Mary hat keine Psychopathen behandelt.«
»Wen hat sie behandelt?«, fragte Milo.
»Leute mit alltäglichen Anpassungsschwierigkeiten«, antwortete Gull. »Angstzustände, Depressionen, was man als Neurosen zu bezeichnen pflegte. Und grundsätzlich gesunde Personen, die vor schwierigen Entscheidungen standen.«
»Berufsberatung?«
»Alle möglichen Arten von Beratung«, sagte Gull.
»Sie nennen die Leute nicht mehr neurotisch, ja?«
»Wir vermeiden Etikettierungen, Detective. Vermeiden Stigmatisierungen. Eine Psychotherapie ist keine Behandlung im üblichen medizinischen Sinne - ein Arzt, der etwas an einem passiven Patienten vornimmt. Sie beruht auf einem Vertrag. Wir betrachten uns als Partner unserer Patienten.«
»Arzt und Patient in Teamarbeit.«
»Genau.«
»Anpassungsschwierigkeiten«, sagte Milo. »Sind Sie völlig sicher, dass es keine gefährlichen Patienten in Dr. Koppels Praxis gab?«
Albin Larsen sagte: »Mary hätte es nicht gefallen, mit gewalttätigen Personen zu arbeiten.«
»Und sie tat nur, was ihr gefiel?«
»Mary hatte viel zu tun. Sie konnte sich ihre Patienten aussuchen.«
»Warum hätte es ihr nicht gefallen, mit gewalttätigen Leuten zu arbeiten, Dr. Larsen?«
»Mary war der Gewaltlosigkeit verpflichtet.«
»Das sind wir alle, Dr. Larsen, aber das heißt nicht, dass wir von den hässlicheren Aspekten des Lebens isoliert sind.«
»Dr. Koppel war in der Lage, sich zu isolieren«, sagte Larsen.
»Tatsächlich?«, erwiderte Milo.
»Ja.«
»Ich habe Mitschnitte von Radiosendungen gehört, wo Dr. Koppel über Gefängnisreformen redete.«
»Ah«, sagte Larsen. »Ich fürchte, das war mein Einfluss. War ich auch auf den Aufnahmen?«
»Ich glaube nicht.«
Larsens Mund wurde winzig. »Das war ein Thema, für das ich Mary interessiert habe.
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