Im Sog der Angst
Nicht im klinischen Sinn. Sie war eine gesellschaftlich bewusste Person und hatte sowohl ein menschliches als auch ein akademisches Interesse an den größeren gesellschaftlichen Themen. Aber soweit es ihre Praxis betraf, konzentrierte sie sich auf die alltäglichen Probleme alltäglicher Leute. In der Hauptsache Frauen. Und sagt das nicht etwas über die Wahrscheinlichkeit, dass es sich bei ihrem Mörder um einen Patienten handelte?«
»Wie meinen Sie das, Dr. Larsen?«
»Kriminelle Gewalt wird für gewöhnlich von Männern ausgeübt.«
»Haben Sie ein Interesse an Kriminalpsychologie?«, fragte Milo.
»Nur als Teil des gesellschaftlichen Rubrums«, antwortete Larsen.
»Albin ist zu bescheiden«, sagte Franco Gull. »Er hat wunderbare Sachen als Menschenrechtler bewirkt.«
»Von Menschenrechten zur Privatpraxis«, sagte ich.
Larsen warf mir einen Blick zu. »Zur gegebenen Zeit tut man, was man kann.«
»Mit Menschenrechten kann man keine Rechnungen bezahlen«, erklärte Milo.
Larsen wandte sich ihm zu. »Ich muss leider sagen, dass Sie Recht haben, Detective.«
»Demnach«, sagte Milo, »gibt es keine Psychopathen unter Dr. Koppels Patienten.«
Eine Feststellung, keine Frage, und keiner der beiden Psychologen antwortete. Albin Larsen aß ein Stückchen Salat. Franco Gull blickte prüfend auf seine Armbanduhr.
Milo zog ruckartig das Bild des blonden Mädchens hervor. »Erkennt sie einer von Ihnen, meine Herren?«
Larsen und Gull musterten das Foto. Beide schüttelten den Kopf.
Gull leckte sich die Lippen. Schweiß lief ihm die Nase hinunter, und er wischte ihn verärgert ab. »Wer ist sie?«
»War sie«, sagte Larsen. »Sie ist eindeutig tot.« An Milo gewandt: »Hängt das in irgendeiner Weise mit Marys Ermordung zusammen?«
»Weiß ich noch nicht, Dr. Larsen.«
»Kannte Mary diese junge Frau?«, fragte Gull.
»Das weiß ich auch nicht. Also hat keiner von Ihnen sie in der Praxis gesehen?«
Gull sagte: »Nein.«
Larsen schüttelte den Kopf. Zog an einem Knopf seiner Strickweste. »Detective, gibt es etwas, was wir wissen sollten? Im Hinblick auf unsere eigene Sicherheit?«
»Machen Sie sich Sorgen um Ihre Sicherheit?«
»Sie haben uns gerade das Foto einer toten Frau gezeigt. Ich vermute, Sie haben den Eindruck, dass ihr Tod mit dem von Mary zusammenhängt. Was geht hier wirklich vor?«
Milo steckte das Foto wieder in seine Tasche. »Ich kann Ihnen nur den Rat geben, normale Vorsicht walten zu lassen. Sollte einem von Ihnen ein bedrohlicher Patient einfallen - oder irgendjemand sonst aus Dr. Koppels Leben, der Ihnen verdächtig vorkommt -, dann sollten Sie mich am besten davon in Kenntnis setzen.«
Er schlug die Beine übereinander und sah zu den herumtollenden Kindern hinüber. Ein Lieferwagen mit Speiseeis rollte den Weg entlang und ließ seine Glocke ertönen. Einige Kinder zeigten auf ihn und sprangen in die Luft.
»Gibt es sonst noch was?«, wollte Franco Gull wissen. »Ich bin heute Nachmittag völlig ausgebucht.«
»Nur noch ein paar Fragen«, erwiderte Milo. »Was die Struktur Ihrer Personengesellschaft mit Dr. Koppel angeht.«
»Albin hat Ihnen schon mitgeteilt, dass es keine formelle Personengesellschaft ist«, sagte Gull. »Wir haben eine Bürogemeinschaft.«
»Ein rein finanzielles Arrangement?«
»Na ja«, sagte Gull, »darauf würde ich es nicht reduzieren. Mary war eine gute Freundin.«
»Was geschieht jetzt, wo Dr. Koppel tot ist, hinsichtlich des Mietvertrags?«
Gull starrte ihn an.
Milo sagte: »Diese Frage muss ich stellen.«
»Albin und ich haben darüber noch nicht geredet, Detective. Wir hatten genug damit zu tun, uns um Marys Patienten zu kümmern.« Er sah Larsen an.
»Ich bin dafür«, sagte Larsen, »dass du und ich Marys Mietanteil übernehmen, Franco.«
»Klar«, erwiderte Gull. An uns gewandt: »Es ist keine große Sache. Die Miete ist akzeptabel, und Marys Anteil war kleiner als unserer.«
»Wieso?«, fragte Milo.
»Weil sie das Haus für uns gefunden hat«, sagte Gull, »einen äußerst günstigen Mietvertrag ausgehandelt und die gesamte Renovierung beaufsichtigt hat.«
»Sie war gut im Verhandeln«, sagte Milo.
»Das war sie«, entgegnete Larsen. »Ihre Fähigkeiten wurden durch den Umstand befördert, dass ihrem Exmann das Gebäude gehört.«
»Ed Koppel?«
»Jeder nennt ihn Sonny«, sagte Franco Gull.
»Der Ex als Vermieter«, sagte Milo.
»Mary und Sonny kamen gut miteinander aus«, erklärte Gull. »Die Scheidung ist Jahre her.
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