Im Sog der Gefahr
eckigen Brillengläser. »Ich kann Ihnen für beide je zwanzig Zeugen nennen, außerdem waren die Boote den ganzen Tag im Einsatz. Sie konnten unmöglich zum Tauchen rausfahren, solange hier so viel zu tun war. Das ist hier kein Feriencamp, wissen Sie?« Zusammengebissene Zähne, ein leises Knurren. Die Frau war stinksauer.
Holly zögerte, ihr Bleistift schwebte über dem Notizblock. »Haben Sie ein Problem damit, dass ich versuche, den Mörder zu fassen, Gladys?«
»Ich habe ein Problem damit, dass Sie zwei unschuldige Männer verfolgen, während der wahre Täter wahrscheinlich schon in Mexiko ist«, fauchte die Frau.
»Das hier wird dazu beitragen, sie aus unseren Ermittlungen auszuschließen«, erklärte sie geduldig.
Gladys schnaubte. »Bis zum nächsten Mal.«
Holly rief sich ins Gedächtnis, dass nicht jeder die Polizei mochte. »Ist der Professor da?«
»Er ist unten im Labor.« In der Stimme der Frau schwang etwas mit – nicht nur Zorn, sondern auch Schmerz –, bei dem Holly allmählich unwohl wurde. Als wäre
sie
der Bösewicht und nicht derjenige, der Milbank ein fünfzehn Zentimeter langes Messer zwischen die Rippen gerammt hatte.
Holly versuchte es mit ein wenig Small Talk. »Hat das Feuer von gestern Abend schwere Schäden angerichtet?«
Die Frau begegnete ihrer Frage mit eisernem Schweigen.
Herrgott!
»Also gut.« Angespannt atmete Holly aus. Sie liebte ihren Job. Das tat sie wirklich. Sie liebte auch Champagner, und davon bekam sie ebenfalls Kopfschmerzen.
Sie machte sich auf die Suche nach dem Professor. Oft gehörte es zur Polizeiarbeit, verschiedenen Leuten immer wieder die gleichen Fragen zu stellen, um zu sehen, ob ihre Geschichten übereinstimmten. Holly trat in den kühlen, bedrückenden Westküstenmorgen hinaus. Der Tau war so dicht, dass er wie Tränen an den Spitzen der kurzen, grünen Grashalme hing. Als sie auf dem losen Kies ausrutschte, stieß sie einen Fluch aus. Ihre Prellungen heilten zwar allmählich, aber wegen des Schleudertraumas war ihr Hals steif, und plötzliche Bewegungen taten noch immer weh.
Während sie den Hügel hinunterging, rief sie ihren Vater an.
»Wie geht’s meiner Lieblingstochter?« Er hatte beim ersten Klingeln abgenommen.
»Fast so gut wie meinem liebsten Deputy Commissioner.«
Er lachte. »Wie läuft es da draußen?«
Sie fasste sich an den Kopf – ihre Mütze hatte sie im Hotel gelassen, was sie daran erinnerte, dass sie ihre Sachen noch aus Finns Blockhaus abholen musste – und wünschte, sie könnte lügen. »Es wird eine harte Nuss, Dad. Der IFIS sucht nach einer Möglichkeit, Milbanks Boot nach Port Alberni zu befördern, ohne mögliches Beweismaterial zu vernichten. Wahrscheinlich wird die Küstenwache es abschleppen müssen.«
»Sag ihnen, sie sollen Bäume fällen, wenn es sein muss.«
»Tja, leider liegt das Boot im geschützten Altbestand des Waldes, da würde uns die Regierung vermutlich ganz schön was erzählen, wenn wir das täten. Aber sie haben mich direkt angerufen und mir mitgeteilt, dass sie eine erste Untersuchung vor Ort vornehmen. Fingerabdrücke, DNA und so weiter.« Sie hörte ihren Vater im Hintergrund mit jemandem reden, anscheinend war er schon bei der Arbeit. Sie sah über das Wasser zur Station der Küstenwache hinüber. Am Horizont türmten sich dichte Wolken auf, das nächste Unwetter kam auf sie zu.
»Kompliziert wird es dadurch, dass Milbanks Kumpel aus dem organisierten Verbrechen wahrscheinlich nicht in der Lage gewesen wäre, die Leiche in dem Schiffswrack zu verstecken. Wir sind ziemlich sicher, dass Milbank hier im Ort einen Partner für den Schmuggel von Drogen oder Falschgeld hatte.« Diesen neuen Ansatz hatte Sergeant Hammond aufgebracht, nachdem er sich bei seinen Kontakten umgehört hatte. »Offenbar sind in Victoria einige Zehn-Dollar-Blüten aufgetaucht. Gute Fälschungen, nicht leicht zu erkennen.«
»Ich rede mit dem ICET «, sagte ihr Vater. Er sprach von den Falschgeldexperten der RCMP . »Vielleicht sind dort Verbindungen nach Vancouver Island bekannt.«
»Solange wir nicht wissen, mit wem Milbank zusammengearbeitet hat, stecken wir fest und müssen jeden ins Auge fassen, der fähig ist, einen Trockentauchanzug anzuziehen.«
Was in diesem Teil der Welt auf so gut wie jeden zutrifft,
dachte Holly bitter.
Ihr Vater räusperte sich. »Ein paar Holzfäller haben einen schwarzen, ausgebrannten Ram-Transporter in der Nähe des Saltiss Lake gefunden.«
Die Information versetzte sie wieder an
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