Im Sog der Sinnlichkeit
Spießrutenlauf vorbei an den Frauen, die ihn vorwurfsvoll anstarrten, alle sittsam gekleidet und ungeschminkt; nichts an ihnen erinnerte an ihr einstiges Gewerbe. Am meisten störte ihn Violet Highstreets missbilligender Blick. Und dann stellte sich ihm auch noch Emma Cadbury in den Weg, als er im Sturmschritt die Halle zum Portal durcheilte.
„Mylord, wir müssen miteinander reden“, erklärte Mrs Cadbury mit ihrer vornehmen Stimme.
„Sagen Sie ihm nur ordentlich Ihre Meinung, Mrs Cadbury!“
„Misch dich nicht ein, Violet! Geh mit den anderen Mädchen ins Studierzimmer, während ich mit dem Viscount rede.“
„Lassen Sie sich von ihm nicht um den Finger wickeln“, fügte Violet piepsend hinzu. Benedick vergaß seine schlechte Laune und sah sie erstaunt an. Bei ihrer letzten Begegnung war sie eifrig bemüht gewesen, ihm ihre angenehmsten Dienste zu bieten, und nun schien er auch bei ihr in Ungnade gefallen zu sein.
„Was in aller Welt ist bloß los mit dir?“, fragte er zu seiner eigenen Überraschung. Die Meinung einer Hure hatte ihn nie interessiert. Andererseits waren Charitys Schützlinge keine Huren mehr. Sie waren bekehrte Frauen und Mädchen, menschliche Wesen. Keine gesichtslosen Körper, die nur dafür da waren, ihm Vergnügen zu verschaffen.
Verdammtes Frauenzimmer! dachte er zerstreut.
„Nur weil Sie mir gefallen, heißt das noch lange nicht, dass ich zulasse, dass Sie unserer Herrin wehtun“, verkündete Violet aufsässig. Ein Chor streitbarer Frauen auf der Treppe bestätigte ihre Kampfansage.
„Es reicht, Mädchen!“ Mrs Cadburys strenge Zurechtweisung klang wie die einer Lehrerin und nicht wie die einer Bordellwirtin. Aber sie sah ja auch aus wie eine Schulmeisterin in ihrem hochgeschlossenen grauen Kleid, wenn auch eine bildschöne. Welch ein Jammer, dass auch sie vorhatte, ein enthaltsames Leben zu führen, dachte er zerstreut.
Zu einem anderen Zeitpunkt hätte er versucht, ihre Meinung zu ändern. Zu einem anderen Zeitpunkt hätte er Violet ein Zeichen gegeben, und sie wäre ihm bei aller Missbilligung in sein Haus gefolgt und hätte getan, was er von ihr verlangt hätte, und zwar mit großem Vergnügen. Er pflegte nämlich dafür zu sorgen, dass seine Gespielinnen, auch jene, für deren Dienste er bezahlte, in seinem Bett auf ihre Kosten kamen, und Violet Highstreet war eine sehr begabte Gespielin.
Anders als Mrs Cadbury, die ihn mit gerunzelter Stirn musterte.
„Ich fürchte, mir fehlt die Zeit für eine Unterredung, Madam“, erklärte er mit kaum verhohlener Ungeduld.
„Wenn Sie nicht mit mir sprechen, sehe ich mich gezwungen, Sie so oft in Ihrem Haus aufzusuchen, bis Sie sich zu einem Gespräch herablassen. Sie können es also auch gleich hinter sich bringen.“
Er betrachtete sie mit deutlicher Abneigung. Vor einem Jahr, vor sechs Monaten, ja noch vor sechs Tagen hätte er viel darum gegeben, diese Frau in seinem Bett zu haben. Jetzt hingegen würde er sie nicht einmal anrühren, wenn sie ihn dafür bezahlt hätte. Er ließ den Blick über die Gesichter der Mädchen wandern, die sich immer noch über das Treppengeländer beugten. Er interessierte sich für kein einziges, auch nicht für ihre geschminkten Schwestern, die nach wie vor in eleganten Freudenhäusern arbeiteten, die er früher oft und gern besucht hatte.
Er begehrte nur eine Frau und musste so schnell wie möglich vor ihr fliehen. Man verführte keine Aristokratin nur so zum Spaß, obwohl Witwen der gehobenen Kreise als Freiwild galten. Bei all ihrer gespielten Gelassenheit und Weltgewandtheit glich Melisande in ihrer Unerfahrenheit weit mehr einer Unschuld als einer Frau, die eine Ehe und eine Liebschaft hinter sich hatte und um ihre sinnlichen Bedürfnisse Bescheid wissen sollte. Wenn er nicht sofort den Rückzug antrat, würde die Angelegenheit sowohl für ihn als auch für sie ausgesprochen unangenehm werden.
Eigentlich hatte er sich relativ nobel verhalten. Er hatte ihr einen Vorgeschmack auf sinnliche Freuden gegeben, um ihr begreiflich zu machen, was zwischen Mann und Frau geschehen konnte. Sie würde einen passenden Mann heiraten und eine glückliche und erfüllte Ehe mit ihm führen, und das hatte sie letztlich ihm zu verdanken.
Ja, ich bin ein verdammt anständiger Mann, dachte er spöttisch, stets bereit, der holden Weiblichkeit Gutes zu tun.
Mrs Cadbury wies zu einer offenen Tür, und wenn er nicht handgreiflich werden wollte, gab es für ihn keine Flucht. „Fünf Minuten“,
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