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Im Sog der Sinnlichkeit

Im Sog der Sinnlichkeit

Titel: Im Sog der Sinnlichkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Stuart
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Auch wenn die Hälfte deines hübschen Gesichts entstellt ist, bleibt dir noch die andere Hälfte, um die Mädchen zu betören. Wenn du eine finstere Miene zur Schau stellst, finden dich alle jungen Mädchen wahnsinnig heldenhaft und romantisch, und du wirst Mühe haben, sie dir vom Leib zu halten.“
    Er lag reglos, und sie glaubte beinahe zu spüren, wie die Lebenskraft aus ihm wich. „Du musst nicht sterben“, sagte sie wieder mit einigem Nachdruck. „Aber wenn du unbedingt sterben willst, vergeude ich nur meine Zeit mit dir. Ich kümmere mich lieber um andere Patienten, die darum kämpfen, am Leben zu bleiben.“
    Nicht das winzigste Zucken verriet, ob noch ein Funken Leben in dem abgemagerten Körper des jungen Soldaten war, dennoch machte sie einen letzten Versuch. „Gibt es irgendwo eine Liebste, vielleicht eine Ehefrau? Eine liebende Mutter, die sich große Sorgen um dich macht? Du kannst nicht einfach aufgeben, Junge! Kämpfe, verdammt noch mal!“
    Nichts. Sie erhob sich mühsam mit hängenden Schultern, war ohne jede Hoffnung. Gerade als sie im Begriff war, zu gehen, nahm sie eine winzige Bewegung wahr und wandte sich wieder um. Seine fiebrig glänzenden blauen Augen waren auf sie gerichtet. „Wollen Sie mir damit Lebensmut machen?“ Seine Stimme war nur ein schwaches Krächzen. „Sollten Sie mir nicht lieber die Hand halten?“
    „Das habe ich bereits versucht“, antwortete sie sachlich, um ihre neu aufkeimende Hoffnung zu verbergen. „Das hat leider nicht geholfen.“
    Er könnte versucht haben zu lächeln. Es war schwierig, dies in dem zerschundenen Gesicht zu erkennen. Doch plötzlich konnte Emma wieder freier atmen. Ihr war, als habe sich bisher ein drittes Wesen in der kleinen verhangenen Kabine befunden. Der Tod hatte auf ihn gewartet.
    Und jetzt war er fort.
    Sie setzte sich wieder an sein Bett und nahm seine knochige Hand in die ihre. „Wie heißen Sie? Man hat Sie ohne Papiere eingeliefert, und wenn Sie gestorben wären, hätte man Sie in einem Massengrab verscharrt.“
    Er hielt seinen fiebrigen Blick auf sie gerichtet. „Ich erinnere mich nicht“, murmelte er schließlich, und sie wusste, dass er nicht die Wahrheit sagte. Trotz seiner schwachen Stimme erkannte sie, dass er kein einfacher Soldat war.
    „Sie sind ein störrischer Patient“, erklärte sie leichthin. „Aber früher oder später erfahre ich die Wahrheit. Mutter Mary Clement weist mir gern die schwierigen Fälle zu. Und Sie sind so einer. Aber wenigstens haben Sie sich entschlossen zu leben.“
    „Warum sagen Sie das?“, flüsterte er.
    Sie lächelte und drückte seine magere Hand. „Ich weiß es einfach.“ Sie erhob sich. „Morgen früh komme ich wieder. Machen Sie der Nachtschwester nicht zu viele Umstände, verstanden? Und sterben Sie nicht in meiner Abwesenheit. Sie würden mich damit sehr verärgern.“
    Das war eindeutig ein Lächeln. „Ich bemühe mich. Wie heißen Sie?“
    Sie schüttelte den Kopf. „Das sage ich Ihnen, wenn Sie die Güte haben, mir Ihren Namen zu nennen. Nennen Sie mir wenigstens Ihren Rang, dann könnte ich Sie als Leutnant oder so ansprechen.“
    „Nennen Sie mich Janus“, sagte er.
    Die Anspielung auf den römischen Gott, der mit einem Doppelgesicht dargestellt wurde, entging ihr nicht. „Sie sind ganz schön anstrengend, Kleiner“, tadelte sie im Tonfall einer Gouvernante. „Sie sind auch jetzt noch hübsch, viel zu hübsch für ein Männergesicht. Sie mussten ja etwas dagegen tun, um diese Schönheit abzuschwächen.“
    Er lachte, ein gequältes Lachen, das ihr dennoch das Herz wärmte. „Und ich denke, ich nenne Sie Harpy, die Kurzform von Harpyie, dem geflügelten Wesen aus der griechischen Mythologie, wenn wir schon bei klassischen Anspielungen sind. Ich bemühe mich, bis morgen zu überleben, nur um Ihnen eins auszuwischen.“
    „Tun Sie das.“ Sie zog den Vorhang auf und wollte gehen.
    „Ach, noch etwas, Miss Harpy.“
    Sie warf mit hochgezogenen Brauen einen Blick über die Schulter.
    „Ich bin mit Sicherheit kein Kleiner.“
    Er hatte ihr seinen Namen nicht verraten. In der folgenden Woche, die er noch unter Mutter Mary Clements wachsamen Augen im Hospital verbrachte, behauptete er steif und fest, sein Gedächtnis verloren zu haben. Wenn Emma ihren Dienst antrat, schaute sie zuerst nach ihm, um sich davon zu überzeugen, dass seine Genesung Fortschritte machte, und versorgte anschließend die anderen Patienten, bevor sie sich zuletzt ihm widmete. Sie sah in ihm

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