Im Sog der Sinnlichkeit
ihre Belohnung nach der schweren, oft ekelerregenden Arbeit, die sie zu verrichten hatte. Er sah sie an, als sei sie eine Mischung aus Madonna und Harpyie, mit der er sie verglichen hatte, und sie neckte ihn wie einen jüngeren Bruder. Nein, das stimmte so nicht, denn seine Nähe löste ein sehnsüchtiges Flattern in ihr aus.
Alles wäre gut gegangen, hätte ihn nicht wieder ein böses Fieber befallen, diesmal schlimmer als beim ersten Mal. Emma hatte solche Fieberschübe schon des Öfteren bei anderen Patienten erlebt, die sich bereits auf dem Weg der Besserung befunden hatten. Das Hospital war ein gefährlicher und schmutziger Ort voller Krankheiten und Siechtum, und die Patienten in ihrem geschwächten Zustand waren anfällig für alle möglichen Bakterien. Das Fieber packte ihn überraschend und heftig. Gegen Abend, als ihr Dienst zu Ende ging, befand er sich bereits im Delirium.
Mutter Mary Clement schaute vorbei und schüttelte bedenklich den Kopf. „Ein trauriger Fall, Emma“, sagte die alte Nonne. „Ich hatte so sehr gehofft, dass er es schafft.“
Emma hatte den Blick nicht von ihm gewandt. „Ich bleibe noch eine Weile bei ihm, wenn Sie nichts dagegen haben“, sagte sie gefasst, „vielleicht kann ich noch etwas für ihn tun.“
„Weck ihn auf, wenn es möglich ist. Ich überlasse die Sterbenden deiner Obhut, damit sie sehen, wofür es sich zu leben lohnt. Erinnere ihn daran, warum er am Leben bleiben soll.“
Emma nickte nur, ohne den Kopf zu heben. Die Nonne wusste einiges über Emmas Vergangenheit, ohne sie zu verdammen.
„Ich überlasse ihn dir“, wiederholte Mutter Mary Clement. „Rufe mich, wenn du etwas brauchst. Sonst können wir nichts mehr für ihn tun. Entweder er schafft es oder er schafft es nicht.“
Sie zog den Vorhang zu, und Emma blieb allein mit ihm in der zunehmenden Dämmerung, umgeben vom Stöhnen der Kranken und Sterbenden im Saal. Ihr junger Soldat lag reglos und stumm in seinem schmalen Bett.
Gegen Mitternacht hatte sie sich zu ihm gelegt. Er hatte Schüttelfrost bekommen, und sie schlang die Arme um ihn, wiegte ihn an ihrer Brust wie ein Kind, das sie nie bekommen würde. Er hatte sich an sie geklammert wie ein Ertrinkender. Irgendwann waren ihr die Augen zugefallen im Wissen, dass sie beim Erwachen einen Toten in den Armen halten würde. Aber wenigstens würde er in ihren Armen sterben, von ihr geliebt, nachdem sie geglaubt hatte, niemals einen Mann lieben zu können.
Und am nächsten Morgen war er tatsächlich fort, allerdings nicht zu seinem Schöpfer im Himmel, wie Mutter Mary Clement ihr berichtete. Seine Angehörigen hatten Nachforschungen nach seinem Verbleib angestellt und ihn endlich ausfindig gemacht. In dieser Nacht war er zu seiner Familie gebracht worden. Emma hatte in ihrer Erschöpfung so tief geschlafen, dass sie nicht einmal bemerkt hatte, wie man ihn aus ihren Armen löste, und Mutter Mary Clement hatte sie schlafen lassen.
Möglicherweise war er der Sohn eines Kaufmanns oder der uneheliche Abkömmling eines Adeligen. Ein für sie nicht völlig unerreichbarer Mann, der sie wegen ihrer verruchten Vergangenheit vielleicht nicht verdammen würde.
Aber nein, das Leben war nicht so großzügig. Es handelte sich bei dem Patienten um Captain Brandon Rohan, Lord Brandon Rohan noch dazu, Bruder eines Viscount, Sohn eines Marquess. Ein Mann, der so unerreichbar war für sie wie der Mond. Fast wünschte sie, er wäre in jener Nacht in ihren Armen gestorben. Dann hätte er wenigstens für ein paar Stunden ihr gehört.
Und nun hatte eine heimtückische Laune des Schicksals seine Familie wieder in ihr Leben gebracht. Und ihr heimlicher platonischer Geliebter war kein verwundeter Soldat mehr. Wie Melisande herausgefunden hatte, schienen die Grauen des Krieges nicht nur seinen Körper verstümmelt, sondern auch seine Seele zerrüttet zu haben. Und dieser Gedanke brach ihr das Herz, nachdem sie geglaubt hatte, unverwundbar zu sein.
22. KAPITEL
W ährend er sich für den Ball der Worthinghams ankleidete, beschlich Benedick ein befremdliches Gefühl der Melancholie, das er auf die Unruhe zurückführte, die diese lästige Melisande Carstairs in sein wohlgeordnetes Leben gebracht hatte. Nun war er sie endlich los, und ihr verstauchter Knöchel erwies sich als Segen. Stetig war die Versuchung in ihm gewachsen, sie zu verführen, was für beide in einer Katastrophe gemündet hätte.
Er geriet ins Grübeln, als Richmond ihm in den eleganten Abendfrack half. Eine
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