Im Sog der Sinnlichkeit
Zurückweisung hatte sie nicht gerechnet. Immerhin war sie Witwe und keine Jungfrau. Es gab keinen Grund, ihr Angebot abzulehnen, es sei denn, er begehrte sie nicht.
Er beobachtete sie stumm, schien in ihrem Gefühlsaufruhr lesen zu können. Melisande bemühte sich um ein Lächeln, was ihr kläglich misslang. „Sie haben Ihre Meinung geändert?“, wiederholte sie. „Ich befürchte, mein Angebot gilt nicht mehr.“
Er hielt den Schlüssel hoch. „Überzeugen Sie mich.“
Glühender Zorn flammte in ihr auf. Wütend stellte sie die Füße auf den Boden und achtete nicht auf den stechenden Schmerz, der sie durchzuckte. Es war kalt im Zimmer, sie fröstelte.
Sie hatte sich ausgemalt, warm und geborgen in seinen Armen zu liegen, dabei aber den unseligen Nebenschauplatz wie nackte männliche Körperteile, Schweiß und Ächzen ignoriert. Sie hatte nur an die Wonnen gedacht, die sie bei seinen Berührungen empfand, nach denen sie sich sehnte und für die sie alles andere in Kauf genommen hätte, nur um sich diesem Genuss erneut hinzugeben.
Aber es gab gewiss einen anderen Mann, der ihr das bieten konnte. Zugegeben, Benedick Rohan war ein guter Liebhaber. Das hatten ihr die Mädchen bestätigt, die intime Erfahrungen mit ungezählten Männern hatten und ihr mit Sicherheit den Namen eines Mannes nennen würden, der ebenso talentiert und weniger … bedrohlich war.
Wenn sie aber in Rohan eine Bedrohung sah, warum um Himmels willen war sie dann zu ihm gekommen und hatte sich dieser Niederlage ausgesetzt?
Ihre Kleider hatte sie in seinem Ankleidezimmer abgelegt, doch damit wollte sie jetzt keine Zeit verlieren. Ihr Umhang lag über einem Sessel neben dem Kamin, ihre dünnen Abendschuhe standen daneben. Das musste genügen.
Sie hielt sich am Bettpfosten fest, um ihren verletzten Knöchel zu schonen, der bandagiert und mit einer Holzschiene gestützt war, um ihr Halt zu geben. Als sie ihr Gleichgewicht gefunden hatte, humpelte sie zum Sessel.
Rohan sah ihr stirnrunzelnd dabei zu. „Sie holen sich den Tod.“ Mit langen Schritten durchquerte er das Zimmer. Und ehe sie es sich versah, hatte er sie auf seine Arme gehoben, legte sie wieder ins Bett und zog die Decke hoch. „Bleiben Sie liegen, bis ich Feuer gemacht habe“, befahl er.
Melisande fuhr hoch und wollte die Decke zurückschlagen, aber er packte sie grob an den Schultern und warf sie in die Kissen zurück. „Wenn Sie noch einmal das Bett verlassen, werden Sie es bereuen“, knurrte er mit tiefer Stimme. „Anfangs zumindest.“
Sein drohender Tonfall hatte etwas Erotisches; so unerfahren war sie nicht, um das nicht zu erkennen. Allerdings war alles an Benedick Rohan irgendwie erotisch. Seine Worte klangen kalt und schroff, der Ausdruck seiner dunkelgrünen Augen war drohend, aber seine Finger massierten beinahe zärtlich die verkrampften Muskeln an ihren Schultern.
Und dann ließ er von ihr ab und ging zum Kamin. Verwundert beobachtete sie, mit welchem Geschick er Feuer machte, als verrichte er diese niedrige Arbeit jeden Tag; jeder andere Mann seines Standes hätte sich nicht zu helfen gewusst. Melisande bemerkte erst jetzt, wie sehr es sie fröstelte. Mit angezogenen Beinen im Bett kauernd, hielt sie die Knie umfangen, um sich gegen die kalte Nachtluft und ihre Angst zu schützen.
Ihre Angst legte sich nicht, aber das Zimmer wurde warm. Er hockte auf den Fersen vor dem Kamin und hielt den Blick in die Flammen gerichtet. Der flackernde Feuerschein verlieh seinem markanten Profil etwas Verwegenes, beinahe Diabolisches. Er drehte sich zu ihr um. „Was in aller Welt hat Sie bewogen, dieses Nachthemd bei Ihrem ersten Versuch einer Verführung zu tragen?“, fragte er sinnend. „Und Ihr Haar …“
„Was haben Sie an meinem Haar auszusetzen?“, fragte sie gekränkt. „So trage ich es nachts. Mein Mädchen macht mir Zöpfe, damit die Haare mich beim Schlafen nicht stören. Ich weiß selbst, dass Ihre Halbweltdamen hauchdünne Negligés tragen, aber so etwas besitze ich nun mal nicht. Viele Frauen tragen solche Nachthemden.“
„So etwas trägt keine Frau für ihren Liebhaber. Wenn Sie Wilfred mit diesem Hemd im Bett empfangen haben, ist die traurige Enttäuschung mit ihm kein Wunder.“
Melisande zuckte zusammen. Selbstverständlich hatte sie diese Möglichkeit in Erwägung gezogen: Sie war weder schön noch beherrschte sie weibliche Verführungskünste. Vielleicht waren das die Gründe, warum Wilfred versagt hatte. Sie hatte ihre Zweifel zwar Emma und
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