Im Sog Des Boesen
arbeite ja erst einen halben Tag an dem Fall«, antwortete Lucas. »Der Typ stand schon länger auf der Liste.«
»Wie konnten sie dir in dem Club entwischen? Klingt ganz so, als wäre sie dir bewusst aus dem Weg gegangen, und das würde bedeuten …«
»… dass sie mich kannte. Vielleicht wollte sie ihn aber auch nur rauslotsen, weg von den Leuten, die sie wiedererkennen könnten. Niemand hat sich richtig mit ihr unterhalten - sie waren ständig in Bewegung. Wir müssen uns ganz knapp verfehlt haben.«
Weather schüttelte den Kopf. »Zu einfach. Da läuft noch was anderes.«
»Möglich«, erwiderte Lucas.
»Darüber denkst du bitte allein nach«, sagte Weather. »Ich muss morgen um fünf raus und hab einen harten Tag, weswegen ich jetzt ins Bett gehe.«
»Bis morgen also.« Er gab ihr einen Gutenachtkuss und nahm sich im Arbeitszimmer noch einmal die Unterlagen von der Stadtpolizei in Minneapolis und vom SKA vor.
Die Leute vom SKA beschäftigten sich im Jahr nur mit ein paar Morden, allerdings mit den üblen Fällen. Ein Beamter von der Stadtpolizei hingegen hatte im Lauf weniger Jahre unter Umständen mit genauso vielen zu tun wie ein SKA-Agent in seiner gesamten Laufbahn und entwickelte deshalb einen siebten Sinn.
Um elf Uhr legte Lucas die Papiere weg, weil er sich nicht mehr konzentrieren konnte, und beschloss, Del anzurufen. Der schlief sicher noch nicht; er war eine Nachteule.
Del meldete sich nach dem zweiten Klingeln. »Ja?«
»Tut mir leid, wenn ich störe«, sagte Lucas.
»Schön wär’s.«
»Wo ist die Gattin?«
»Im Bett. Ihr geht’s nicht so gut. Was ist los?«
»Treffen wir uns im Apartment?«
»Okay, in fünfzehn Minuten.«
Die Gasse hinter dem Drugstore war dunkel und kalt, und in einem Müllcontainer raschelte etwas, vielleicht ein Waschbär? Lucas holte den Schlüssel für die hintere Tür heraus, trat ein, schaltete das Licht im Flur ein und ging hinauf. In dem stillen, kühlen Apartment fröstelte ihn. Er drehte die Heizung hoch und suchte im Radio einen Oldies-Sender. Dann nahm er das Fernglas in die Hand und begann, Heather Toms Wohnung zu beobachten.
Sie sah im mittleren der drei Räume fern. In der Hand hielt sie eine Dose Bier oder Pepsi, wahrscheinlich eher Pepsi, des Babys wegen. Die Aufschrift konnte Lucas im flackernden Licht des Bildschirms nicht erkennen.
Wenige Minuten später hörte Lucas den Schlüssel im Schloss, und Del kam in einer Wolke aus Kaffeedüften herein. Er reichte Lucas einen Pappbecher. Dieser bedankte sich und trank einen Schluck.
Del nickte in Richtung Radio: »Clarence Carter - ›Slip Away‹.« Del nahm Lucas den Feldstecher aus der Hand, um seinerseits hinüberzuschauen. »Sie hat ihr T-Shirt an.«
»Ja. Aber letztes Mal hat sie’s ausgezogen.«
»Geht’s ihr gut?«
»Allmählich sieht man den Bauch.«
»Die Brustwarzen sind immer noch aufgerichtet?«
»Bis jetzt schon.«
»Ob sie weiß, was es wird, Junge oder Mädchen?«
»Ruf sie doch an und frag sie …«
Del trug Jeans, ein graues Sweatshirt und eine abgewetzte Goodwill-Lederjacke mit Kunstlammfellkragen. »Wie heißt der Tote?«, erkundigte er sich.
»Roy Carter«, antwortete Lucas. »Dazu kommen ein gewisser Dick Ford und eine Frances Austin.«
»Von Ford und Austin hab ich schon gehört.« Del gab Lucas das Fernglas zurück. »Aber die Sache mit Carter ist mir neu.«
»Ist auch erst vor ein paar Stunden passiert.« Lucas erzählte Del alles und fragte dann: »Was sagst du dazu?«
»Na ja, es gibt mehrere Möglichkeiten. Glaubst du, es war die Fairy?«
»Mit Sicherheit weiß sie was darüber«, erwiderte Lucas und blickte hinaus in die Nacht.
»Also ist sie mindestens Komplizin.«
»Ja.«
»Hört sich ganz so an, als wär die Goth-Sache für Frances reine Attitüde gewesen. Eigentlich wollte sie irgendwann Managerin werden und ordentlich Geld verdienen. Wenn wir keine Fairy aufspüren, handelt es sich möglicherweise um getrennte Fälle. Ich meine, die von Frances Austin und den andern.«
»Wär’ einfacher, wenn nicht«, sagte Lucas.
»Tja, die Welt ist nun mal nicht einfach«, seufzte Del, leerte seinen Becher und warf ihn in einen Papierkorb. Clarence Carter wurde von Jefferson Airplane mit »Plastic Fantastic Lover« abgelöst.
»Es sind keine getrennten Fälle«, erklärte Lucas nach einer Weile. »Sie haben miteinander zu tun. In Austins Haus war jede Menge Blut. Genau wie bei Ford und Carter. Keines der Opfer hat geschrien, weil der Angriff
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