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Im Sommer sterben (German Edition)

Im Sommer sterben (German Edition)

Titel: Im Sommer sterben (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Theurillat
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die Gabel. Es war ein langes Gespräch mit Elisabeth Kobler gewesen, bei dem vor allem sie gesprochen und er zugehört hatte. Von schlampiger Polizeiarbeit war die Rede gewesen und davon, dass er sich seine Ferien an den Hut stecken könne. Der Zigarillo im Mund war erloschen, das eine Ende breit gebissen. Er blickte durch die halb geschlossenen Jalousien nach draußen; es war Mittag, und die Sonne schien, als wisse sie nichts von allem. »Rufen Sie Jagmetti und Lenz!«, donnerte Eschenbach in die Gegensprechanlage. Er hantierte mit dem Feuerzeug und versuchte die erloschene Brissago wieder in Brand zu stecken. »In einer halben Stunde bei mir im Büro … so ein Scheißding!«
    »Brauchen Sie noch etwas?«, gurrte Rosas Stimme aus der Anlage.
    »Irgendwie ist es verstopft …« Der Kommissar klopfte den Anzünder aus rotem Plastik auf die Tischplatte. »Verdammt! Oder vielleicht das Gas …« Er hob ihn gegen das Licht. »Frau Mazzoleni?«
    »Ja«, kam es ruhig. »Ich habe noch Streichhölzer, wenn Sie das meinen?«
    »Genau, das meine ich.«
    Die Augenklinik des Universitätsspitals Zürich hat eine lange Tradition: Seit bald 150 Jahren werden hier Patientinnen und Patienten mit Augenerkrankungen betreut. Im Laufe der Jahre hat sich das Wissen in der Ophthalmologie immens vergrößert …
    Eschenbach las den Text zur Geschichte des Spitals, während sie auf Professor Randolf Madulan, den Leiter der Forschungsabteilung der Klinik, warteten. Jagmetti blätterte in einer Modezeitschrift.
    »Weiß der Geier, weshalb die Augenklinik an der Frauenklinikstraße liegt.« Der Kommissar klang gereizt, zeigte Jagmetti die Broschüre, auf der die Adresse des Instituts stand. Dann wurden sie gerufen.
    Wie geprügelte Hunde traten sie eine Stunde später aus dem Universitätsgebäude hinaus ins Freie. Die tief stehende Sonne blendete, und Eschenbach suchte in Hemd- und Jackentasche nach seiner Sonnenbrille. Vergeblich. Neben ihm trottete Jagmetti und schwieg. Im Gegensatz zu seinem Chef verbarg er seine Niedergeschlagenheit hinter rechteckigen Gläsern, die sich im Licht dunkelblau verfärbt hatten.
    »Er war der perfekte Mörder«, sagte Eschenbach und wischte sich mit der Hand den Schweiß von der Stirn. »Und jetzt ist dieses Arschloch blind.«
    Jagmetti zog Luft durch die Nase. »Scheint so. Annähernd jedenfalls.«
    Als sie die Haltestelle erreichten, sahen sie die Tram mit der Neun nur noch von hinten; wie sie davonholperte und keine hundert Meter später an einer Ampel wieder bremsen und anhalten musste.
    »Hat ihr nichts gebracht, dass sie früher losgefahren ist«, brummte Eschenbach leise.
    »Wären wir gerannt, hätte es gereicht«, sagte Jagmetti. Er zog die Schultern hoch und vergrub die Hände in den Hosentaschen.
    »Vielleicht«, kam es lustlos von seinem schlecht gelaunten Vorgesetzten. »Ich renne keinen Trams mehr hinterher. Sieben Minuten rechtfertigen keinen Herzinfarkt.«
    Jagmetti sagte nichts.
    Sie überquerten die Straße und setzten sich im Schatten der Häuserblocks auf eine kleine Mauer.
    »Ich hab den Typen nur im Halbdunkel gesehen, in seinem Haus am Sihlsee. Und dann, als er den Weg hinunter zum Bootshaus ging … Es sah weiß Gott nicht aus, als suchte er den Weg.« Eschenbach stützte die Arme auf seine Oberschenkel. »Ich hätte ihn ins Präsidium beordern müssen, dort hätte ich es gemerkt … Es ist mein Fehler. Verdammte Scheiße!«
    Jagmetti saß schweigend daneben, versuchte hie und da verständnisvoll mit dem Kopf zu nicken oder strich – mehr aus Verlegenheit – mit den Fingern durch sein dichtes Haar. Der Kommissar schien ihn gar nicht wahrzunehmen. Eschenbach saß vornübergebeugt, die Ellbogen auf den Knien, und sprach zwischen seinen Beinen hindurch mit dem Asphalt oder mit sich selbst. Selbstzweiflerisch und wütend. Erst als die Tram auf die Haltestelle zufuhr, erhoben sich beide; schlenderten aus dem Schatten heraus auf die andere Seite der Straße und stiegen ein.
    »War er nun tatsächlich blind?«, wollte Rosa Mazzoleni wissen, als Eschenbach eine halbe Stunde später an ihrem Schreibtisch vorbeiging.
    »Ja«, knurrte der Kommissar. »Wenn man den Ärzten glauben will.« Er zuckte mit den Schultern.
    »Lieber den Ärzten als der Presse«, seufzte sie. »Hier geht es zu, sage ich Ihnen … also ich bin froh, wenn es Abend ist.«
    »Ich auch!«, polterte Eschenbach. »Oder Weihnachten, das wäre mir auch recht.« Wütend knallte er die Tür hinter sich zu, setzte sich an

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