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Im Sommer sterben (German Edition)

Im Sommer sterben (German Edition)

Titel: Im Sommer sterben (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Theurillat
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gewonnen hatte. Zweiundvierzig Kilometer in zwei Stunden, fünfzehn Minuten und sechzehn Sekunden. Der Leibgardist von Kaiser Haile Selassie lief die schnellste Zeit, die bis dato gelaufen worden war; scheinbar mühelos und barfuß. In Tokio, vier Jahre später, gewann er abermals. Es war der letzte große Sieg gewesen, bevor er mit dem Auto, das man ihm geschenkt hatte, verunfallte und querschnittsgelähmt blieb. Abebe, der lahme Läufer und Hottiger, der blinde Schütze – Sicherheitsfanatiker und Leibgardist.
    Als Elisabeth Kobler ohne anzuklopfen in sein Büro stürmte, rieb sich der Kommissar gerade die Augen. Dann warf er die Akte Hottiger auf einen Stapel mit weiterem Papier. »Was ist?«, fragte er ohne aufzublicken.
    »Wir müssen jetzt handeln«, kam es von der Polizeichefin.
    »Aha, und was heißt das?« Er sah sie an. Kobler zog einen Stuhl zu Eschenbachs Schreibtisch und setzte sich. »Wir müssen denen irgendetwas liefern.«
    »Wem sollen wir was liefern, bitte?« Eschenbach blieb ruhig.
    »Dieser Artikel …« Kobler machte eine kurze Pause. »Der hätte nicht gedruckt werden sollen. Das war ein Fehler … ferienbedingt.«
    »Ach ja?« Der Kommissar lehnte sich zurück und zog die Augenbrauen hoch. »Und weshalb?«
    »Regierungsrätin Sacher ist stinksauer. Man hatte sie deswegen angerufen und nicht gleich erreicht. Verlagsleitung und Chefredaktion wollten den Artikel zurückhalten. Irgendwie ist er dann doch durchs Netz gerutscht.« Kobler sprach leise und wippte dabei mit dem Fuß.
    »Ich verstehe immer noch nicht.« Eschenbach rückte weiter nach vorne und stützte die Ellbogen auf die Tischplatte. »Alles, was in der Zeitung stand, stimmt. Ausnahmsweise, mag ja sein. Aber Hottiger hatte diese … ich meine, er war tatsächlich blind; annähernd jedenfalls. Er konnte diesen Mord unmöglich begehen. Das ist zwar scheiße, aber es ist so. Und eigentlich …« Er hielt inne. »Eigentlich sollten wir dieser Marianne Felber dankbar sein, dass sie das getan hat, was wir eigentlich hätten tun müssen.«
    »Sie kennen diese Journalistin?«
    »Nein, verdammt noch mal!« Eschenbach wurde laut. »Aber es ist ein Name, den wir uns künftig besser merken sollten.«
    »Das sieht Regierungsrätin Sacher anders«, kam es schneidend von seiner Chefin.
    »Ist mir egal, wie es die Sacher sieht. Wir haben unsere Arbeit nicht richtig gemacht; sind nach dreißig Kilometern einfach stehen geblieben, statt weiterzulaufen. Jetzt haben wir den Dreck.«
    »Also back to square number one «, seufzte sie.
    «Nein, nicht am Anfang …«, widersprach Eschenbach. »Aber auch noch nicht am Ende.« Das Neudeutsch von Kobler zerrte an seinen Nerven.
    »Und jetzt? Ich meine, irgendetwas müssen wir tun.« Kobler umfasste mit den Händen ihr Knie, hob die Schultern, als müsse sie Anlauf nehmen. Dann sagte sie: »Nichtstun ist keine Option, Eschenbach!«
    Der Kommissar nickte, als hätte er darauf gewartet. Es war der Standardsatz von Regierungsrätin Sacher; eine Floskel der Hilflosigkeit, wie er fand. Abwarten und dem Gegner den nächsten Zug zu überlassen war immer eine Option, das wusste auch Kobler. Aber dazu brauchte es Nerven und ein dickes Fell, und auf beides konnte er nicht mehr zählen.
    »Ich erwarte keine überstürzte Aktion, aber Nichtstun ist auch keine Lösung …« Er ging ihr unübersehbar auch auf die Nerven.
    »Ja, ich weiß!«, fuhr Eschenbach dazwischen und sah gereizt auf die Uhr. Er konnte den Satz nicht mehr hören. »Ich denke darüber nach.«
    Es war kurz vor zwölf Uhr mittags.
    »Tun Sie das«, murmelte Kobler und stand auf. »Sie wissen ja, ich vertraue Ihnen.«
    Den Nachmittag verbrachte der Kommissar in Sitzungen und am Telefon. Festnahmen von Personen, die sich im Ausland aufhielten, liefen via Rechtshilfegesuch über den Bund. Ein Hin und Her, das ein paar Tage in Anspruch nahm und keine Abkürzung zuließ.
    Gerne hätte er Johannes Bettlach persönlich gesprochen, aber dieses Unterfangen erwies sich als die Quadratur des Kreises. Doch diesmal ließ der Kommissar nicht locker. Er wollte wissen, mit welcher Maschine Bettlach in welches Ausland geflogen war und in welchem Hotel er übernachtete. Sekretärinnen wissen das, und sie lügen schlecht, wenn es um Details geht und man es genau wissen will. Eschenbach hatte das Gefühl, dass Bettlach sehr wohl erreichbar gewesen wäre; dass er nicht in der Maschine der SWISS saß, die um 12.30 Uhr in Zürich gestartet war und acht Stunden später in

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