Im Sommer sterben (German Edition)
Dann nahm er den Kartonfetzen, auf den die ganze Clubanlage en miniature gedruckt war, und verließ das Gebäude. In diesem Augenblick fiel ihm ein, dass er sein Jackett auf der Rückbank im Taxi liegen gelassen hatte, samt Diktiergerät und den Aufzeichnungen des Gesprächs mit Johannes Bettlach. Er fluchte leise. Dann griff er hastig die Hosentaschen ab und war erleichtert, dass er wenigstens das Mobiltelefon bei sich hatte.
»Hier ist übrigens Handy-Verbot«, fauchte ihm ein Herr mittleren Alters zu, der mit Golfwägelchen zügig am Kommissar vorbeimarschierte.
»Ja, ja«, erwiderte Eschenbach und suchte weiter Jagmettis Nummer im Speicher. Nach ein paar Schritten verließ er den Kiesweg und schlenderte quer über die Matte auf einen mächtigen Kirschbaum zu. Im Schatten fand er endlich die Nummer auf dem Display und bestätigte. »Eschenbach«, brummte er.
Unter dem dunkelgrünen Blätterdach hingen fette, blauschwarze Kirschen.
»Chef, wo sind Sie?«
»Unter einem Kirschbaum bei den back nine .«
»Auf dem Golfplatz?«
»Ja.«
»Ich komme Sie holen. Wo genau sind Sie?«
»Bei den back nine !«
» Back nine heißen die Löcher zehn bis achtzehn«, kam es von Jagmetti.
»Dann halt unter dem Kirschbaum …« Eschenbach sah sich um. »Bei den Sandlöchern.«
»Sandbunker hat es auf dem ganzen Platz. Ist ein Gebäude in der Nähe … irgendein Merkmal?«
»Etwa hundert Meter vom Eingang entfernt. Ich sehe die Terrasse des Clubhauses … kommen Sie einfach.«
»Okay.«
Der Kommissar sah Claudio Jagmetti von weitem und winkte. »Fahren Sie ruhig bis hierher«, rief er und deutete direkt vor seine Füße. »Das Ding fährt auch auf Gras.«
Jagmetti verließ mit seinem Elektrowagen den Kiesweg und holperte über die Wiese zum Kirschbaum, wo der Kommissar wartete und zustieg.
Sie fuhren denselben Weg zurück, und Eschenbach genoss den Fahrtwind, der ihm das angeklebte Haar von der Stirn löste und trocknete.
»Kommen wir vorwärts?« Der Kommissar musste sich am Dach des Elektrowagens festhalten, als Jagmetti in voller Fahrt den Schotterweg verließ und querfeldein über die Wiese steuerte. Er schien Spaß daran gefunden zu haben.
»Wir fahren jetzt direkt zum fünfzehnten Loch, dort ist alles aufgebaut.«
»Aha«, grummelte Eschenbach. Er fuhr sich mit der linken Hand durch sein Haar, das nun fast wieder trocken war. Mit der anderen Hand hielt er sich immer noch am Dach fest. »Konnten Sie eine Schaufensterpuppe auftreiben?«
Jagmetti berichtete über seinen Kaufhausbesuch, darüber, dass er von Pontius zu Pilatus habe gehen müssen, bis er schließlich von der Assistentin des Verkaufsleiters – der er wohl nicht unsympathisch gewesen sei – die gewünschte Puppe gegen Beleg und Kaution ausgehändigt bekommen habe.
Er erzählte auch, dass es sich bei dem Exemplar um eine weibliche Puppe handle, mit bleichen festen Brüsten, und dass er mit hochrotem Kopf und der nackten Dame unter dem Arm durch halb Zürich habe gehen müssen, um gerade noch rechtzeitig zu Dr. Salvisberg zu gelangen.
Holpernd fuhren sie an einer Gruppe mit Golfern vorbei, die an einer Böschung mit ihren Schlägern im halbhohen Gras herumstocherten und einen Ball suchten, den einer von ihnen verloren hatte.
»Und jetzt steht die Frau mit den festen Brüsten am fünfzehnten Loch und wartet auf uns?« Eschenbach gefiel die Geschichte, er stellte sich vor, wie der schlaksige Jagmetti mit der Puppe durch die von Geschäftsleuten und Touristen überfüllte Bahnhofstraße eilte.
»Sie ist nicht mehr nackt«, sagte Jagmetti. »Johnny und ich haben sie eingekleidet. Johnny, das ist der Golfpro. Es ist wegen der Etikette und so.«
Eschenbach war, als hörte er ein leichtes Bedauern in Jagmettis Tonfall. »Kleidervorschriften für Puppen«, sagte er und schnalzte mit der Zunge. »Das hat allerdings Stil.«
Sie fuhren an einem kleinen Hügel vorbei, der mit Sträuchern und höherem Gras überwachsen war, und sahen, rechts unter sich, den Tatort.
Er war nicht zu übersehen.
Farbtupfer auf grünem Hintergrund. Zierfische in einem Aquarium, die sich zwischen Wasserpflanzen und mit Algen bewachsenen Kieselsteinen um das Futter balgten.
Gelb-blau karierte Hosen, ein roter Pullunder, ein hellblaues und ein sandfarbenes Poloshirt, weiß-braune Schuhe, Strohhut. Ein dunkelblauer Blazer mit weißem Hemd.
Wer war die Puppe? Eschenbach machte sich ein Spiel daraus, die farbigen Gestalten zu identifizieren. Der Dunkelblauweiße, mit
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