Im Sommer sterben (German Edition)
Salamibrot in den Mund.
Der Korporal, der eine Frau war, schrie sich nochmals den Namen des Polizeireviers und ihren eigenen Namen samt Dienstgrad aus dem Leib. Dann sagte sie mit nachlassender Lautstärke, dass in seinem Büro niemand ans Telefon ginge und sie die Nummer von Max Kubly vom Informationsdienst habe.
Eschenbach spülte die Sandwichreste mit einem Glas Wasser hinunter. »Und, wie kann ich helfen?« Mit der Zunge zwischen den Zähnen suchte er nach Zahnstochern.
»Eine Frau Marchand, Eveline Marchand, ist hier. Sie will Sie sprechen, sagt, es sei dringend.« Und nach einer kurzen Pause fügte sie hinzu: »Sie sagt, sie habe jemanden umgebracht.«
Eschenbach stutzte einen Moment, dann sagte er, als wären ihm seine Gedanken bereits enteilt: »Lassen Sie sie auf keinen Fall gehen, ich komme sofort.«
Die junge Frau von der Bar war ihm hinaus aufs Trottoir gefolgt, mit der Rechnung in der Hand. Und weil er nur einen Hundert-Franken-Schein dabei hatte, gingen sie zusammen wieder zurück ins Café. In Eschenbachs Zeitrechnung war eine Ewigkeit vergangen, bis er wieder draußen war und die fünfhundert Meter bis zum Paradeplatz zurückgelegt hatte.
Die kurze Tramfahrt hinunter zum Bürkliplatz und dann noch eine Station bis Bellevue war er ständig in Bewegung. Er konnte nicht denken, wenn er saß; also ging er vom hinteren Teil des Wagens nach vorne und wieder zurück. So schritt er mehrere Male die ganze Wagenlänge ab, wobei er aufpassen musste, dass er die wenigen Fahrgäste, die sich in den Sitzreihen hielten, nicht anrempelte.
Eveline Marchand saß am breiten Holztisch im Büro des Korporals, Polizeiposten Bellevue. Als Eschenbach eintrat, grüßte sie ihn mit einem verlegenen Nicken und stand auf.
»Frau Marchand hat soeben ein Geständnis abgelegt«, sagte Korporal Schubiger, leicht mollig und mit blonden Locken. »Sie muss nur noch unterschreiben.« Sorgfältig zog sie das Blatt Papier aus der alten IBM und legte es ihrem Gegenüber auf den Tisch. »Hier unten, bitte.«
Eveline stand auf und unterzeichnete.
Schubiger nahm das Blatt und legte es auf die Kopiermaschine. »Ich mache Ihnen eine Kopie … und dann brauche ich noch Ihre Unterschrift für die Überführung.«
»Ja, ja, ich weiß«, sagte Eschenbach und zog einen Kugelschreiber aus seiner Jackentasche.
Am Schalter unterhielt sich ein Polizist mit einer Frau, die einen Entreißdiebstahl meldete. Sie diktierte dem Beamten den Inhalt der gestohlenen Tasche.
Nachdem alles Formelle vom Tisch war und sich Eschenbach bei Frau Korporal bedankt hatte, verließ er mit Eveline das Büro. Sie nahmen den Diensteingang, der in einen kleinen Innenhof führte. Auf einem markierten Parkfeld stand ein Streifenwagen; daneben spielten zwei Mädchen Himmel und Hölle . Sie blieben stehen.
»Ich wusste nicht, wo ich Sie finden würde.« Eveline lächelte.
»Der Polizeiposten am Bellevue ist der einzige, den ich kenne. Als Mädchen habe ich hier meine Fahrradnummern gelöst … ich glaube, es waren rote. Gibt es die immer noch?«
»Nein, nur noch Vignetten, die man aufs Fahrrad kleben muss. Ich glaube, sie werden sogar gratis abgegeben.«
»Muss man das nicht wissen … ich meine als Polizist ?«
»Eigentlich schon.« Eschenbach seufzte. »Es ist lange her, seit ich das letzte Mal Fahrrad gefahren bin.«
Während sie nebeneinander hergingen, telefonierte der Kommissar kurz mit Ivo Fröhlich, einem Freund, den er vom Polizeisport her kannte. »Kannst du mir einen Stand richten, mit einem Stg. 90. Den Rest erzähle ich dir später. Ich bin in zwanzig Minuten bei dir.«
Bei der Sechseläutewiese stiegen sie in ein Taxi, und der Fahrer nickte, als ihm Eschenbach das Fahrtziel nannte. Eine Adresse in Oberrieden, offenbar eine, die dem älteren Mann am Steuer bekannt war.
»Ich habe noch ein paar persönliche Sachen im Hotel«, sagte Eveline, nachdem sie eine Weile schweigend Seite an Seite gesessen hatten. »Vielleicht sollten wir die besser noch holen. Ich meine, bevor wir …«
»Das hat Zeit«, unterbrach sie Eschenbach. »Wir fahren nicht in die Haftanstalt … noch nicht.« Er nahm den Zettel, den ihm der Korporal ausgehändigt hatte, aus der Innentasche seiner Weste. Nachdem er ihn überflogen hatte, blickte er Eveline von der Seite an. »Sie müssen gut schießen können, wenn Sie das wirklich getan haben wollen.«
»Ich habe es von Ernst … er hat mir alles gezeigt.«
»Dann ist ja gut. Immerhin wurde Philipp aus erheblicher Distanz
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