Im Sommer sterben (German Edition)
lieblos wie ein Fabrikarbeiter, der Schrauben in einen VW Lupo dreht.
Nach zehn Minuten stand Eveline auf, bat den Wirt um ein Taxi und verließ grußlos und ohne einen einzigen Blick des Abschieds das Lokal.
Der Kommissar wog das leere Schnapsglas in den Händen, starrte auf eine Reihe von Hirschgeweihen an der Wand und auf die umliegenden, leeren Holztische. Dann bestellte er einen zweiten und kurz darauf noch einen dritten Schnaps.
Er hatte den schwierigsten Teil seines im Grunde genommen einfachen Plans hinter sich. Jetzt musste er warten.
40
Der Anruf kam am darauf folgenden Tag, morgens kurz vor elf Uhr. Und als Johannes Bettlach eine knappe Stunde später von Eveline gestützt aus dem Lift trat, erkannte ihn der Kommissar kaum wieder.
Aus den Falten waren Furchen geworden, und die hellen Augen versteckten sich in tiefen, traurigen Höhlen. Der silbergraue Haarschopf, den der Kommissar eher als einen Heiligenschein in Erinnerung hatte, wirkte matt und viel zu groß für das eingefallene Gesicht. Vor ihm stand ein alter Mann.
»Er möchte alleine mit Ihnen sprechen«, sagte Eveline, nachdem sie Johannes Bettlach beim Hinsetzen geholfen hatte. Dann ging sie hinaus und schloss die Tür hinter sich.
»Ich habe Philipp erschossen.« Bettlach sprach ohne Ankündigung ins Leere. »Die Blaser … eine R93 Tactical. Ernst hatte sie mir gegeben.«
Eschenbach lehnte sich im Stuhl zurück. »Und Sie können das? Ich meine, es waren immerhin …«
»Ich habe dieselbe militärische Ausbildung wie Ernst.« Der alte Mann unterbrach ihn barsch. »Es braucht keinen Schützenkranz, um zu töten.«
»Wo ist die Waffe jetzt?«
»Ich habe sie vergraben … dort, wo auch die Urne meiner Mutter liegt: in meinem Garten, neben der alten Platane.«
»Wir werden es überprüfen«, sagte der Kommissar trocken.
»Sie ist dort, glauben Sie mir. Mit einem Metalldetektor … Sie werden sie finden. Ich nehme an, Sie haben so was, oder?«
»Nein«, erwiderte Eschenbach, doch seinem Gegenüber entging die Ironie. »Dann war das mit Ernst eine abgekartete Sache gewesen?«, seufzte er.
»Nein, so würde ich es nicht sagen …« Bettlach sprach wieder leiser und dachte einen Moment nach. »Seit es mit seinen Augen immer schlechter wurde, sprach er häufig vom Sterben, und dass alles keinen Sinn mehr habe. Nachdem er mir die Waffe gegeben hatte, musste er annehmen, dass ich Philipp erschossen hatte.«
»Haben Sie mit ihm darüber gesprochen?«
»Nein.«
»Und trotzdem hat er Sie gedeckt?«
»Ernst war so.«
Eschenbach runzelte die Stirn.
»Es zählte immer nur die Sache. Sein ganzes Leben stellte er in den Dienst anderer. Was er auch tat … es musste immer einen Zweck haben. Ich glaube, mit seinem Selbstmord hat er auch dem Tod noch etwas Sinnvolles abgerungen.«
»Für seinen Freund?«
»Nein, nicht mich.«
»Für wen denn sonst?«
»Er tat es für Doris.«
»Aber Sie waren doch Freunde.«
»Ja, das schon …« Bettlach zögerte einen Moment, bevor er weitersprach. »Ernst hatte sich in den letzten Jahren zurückgezogen … es gab auch unschöne Szenen wegen Philipp.«
»Wegen Doris?«
»Schon früher. Er konnte es einfach nicht mehr mit ansehen, wie unschuldige Menschen draufgingen … es ist schrecklich. Ich habe keine Ahnung, wer und wie viele.«
»Sie hätten es verhindern können …«
»Vielleicht … Wir haben schon mal darüber gesprochen, nicht wahr?«
Eschenbach nickte.
»Ich habe immer gehofft und gebetet, dass es irgendwann einmal aufhören würde. Und dann die Ärzte, die meiner Hoffnung Nahrung gaben, ohne wirklich zu versprechen … und ohne es zu halten.« Er hielt die Finger ineinander verknotet und sah Eschenbach verzweifelt an: »Die Hoffnung ist eine Schlampe, Herr Kommissar. Ich habe es verdrängt, es nicht wahrhaben wollen, bis mir Doris die Videos zeigte.« Er fasste die Armlehnen seines Stuhls und rückte näher zum Tisch. »Haben Sie sie gesehen?«
Eschenbach nickte.
»Mein Junge ist … er war ein Monster, nicht wahr? Ich habe das nie so gesehen … Für mich war er immer mein Junge.«
»Ihr Junge? Sie meinen Ihren Bruder.«
»Nein. Er war mein Junge, mein eigen Fleisch und Blut.« Er sah den Kommissar an. Seine Augen waren feucht. »Verstehen Sie denn nicht? Ich bin Philipps Vater.«
Eschenbach stockte. »Und der Grenzschutzbeamte … der Geliebte Ihrer Mutter?«
»Den Schweizer Zöllner gab es nicht, gab es nie. Den haben meine Mutter und ich später erfunden. Ich
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