Im Sommer sterben (German Edition)
Ivo Fröhlich. Er summte mit und hantierte dabei am Lautstärkeregler seiner Anlage. Und als müsste er die gedämpfte Stimmung eines ganzen Schützencorps wieder aufmöbeln, schlenkerte er den Wagen im Rhythmus des gezupften Basses der Kapelle Heirassa den Weg hinauf bis zum Restaurant.
Erst als der Kommissar sah, dass Evelines Hände nicht mehr zitterten und ihre Bewegungen ruhiger und selbstbewusster geworden waren, fing er an, über die Sache zu reden. Über den Fall Philipp Bettlach, und darüber, wie aus diesem Fall während der letzten sieben Wochen der Fall Doris Hottiger wurde.
»Ich verstehe, dass Sie die Geschichte gerne auf sich genommen hätten.« Er lächelte, und etwas unbeholfen fügte er noch hinzu: »Ich glaube, Mütter sind so.«
Sie sah ihn nur kurz an, senkte den Blick wieder und rührte mit dem Löffel in ihrem Kamillentee.
»Ernst wollte das auch – und eigentlich ist es nur ein dummer Zufall, dass es ihm nicht gelungen ist.« Der Kommissar biss in ein trockenes Stück Linzertorte und half mit einem großen Schluck Fernet Branca nach. »Er wollte die Sache vertuschen, weil er wusste, dass es Doris gewesen war, die Philipp erschossen hatte.«
Eveline sah ihn ungläubig an.
»Er hatte als Vater versagt, als Beschützer seine Sache gehörig vergeigt; deshalb kam ihm die Sache mit dem Mord gerade recht, und er glaubte, er könne es mit einem Husarenstreich wieder ins Lot bringen.«
»Nein, das ist nicht wahr!«
»Doch.« Der Kommissar fuhr mit dem Finger über den Rand des Schnapsglases. Er tat es unbewusst; es war ein Tick, über den sich Corina maßlos aufregen konnte. »Aus welchem Grund sonst hätte er sich das Leben genommen? Doris war ihm das Wichtigste, der einzige Grund, für den sich ein Suizid lohnte. Denn er tat etwas, das er im Grunde genommen verachtete.«
»Sie wissen gar nichts«, kam es zischend.
»Oh doch, glauben Sie mir, der Zug ist abgefahren!«
»Doris wird schweigen.«
»Doris kann schweigen, so lange sie will. Das ist ihr gutes Recht. Und Sie können es auch. Alle können von mir aus schweigen! Es wird nicht der letzte Mordprozess sein, der aufgrund von Indizien entschieden wird.«
»Sie schweigt, weil sie nichts weiß!«
»Das müssen die Richter entscheiden. Es geht mich nichts mehr an, Frau Marchand, meine Ermittlungen sind abgeschlossen.«
»Sie machen es sich einfach.«
»Ich habe getan, was ich konnte; es liegt nicht mehr in meiner Hand. Nur eines kann ich Ihnen sagen: Die Anwälte, die Johannes Bettlach engagiert hat, und mögen sie noch so gut sein, haben schlechte Karten.«
»Sie werden den Prozess gewinnen.«
Eschenbach zuckte mit den Schultern. »Möglich ist natürlich alles … Aber ehrlich gesagt, ich glaube nicht daran.«
»Dann werden wir Berufung einlegen.«
Hier zögerte Eschenbach, und für einen Moment zuckte ein Lachen in seinem Mundwinkel. »Sicher tun Sie das.« Er nahm einen kräftigen Schluck Fernet und spürte, wie es ihn innerlich wärmte. Was er gehört hatte, war nicht Eveline, waren nicht die besorgten Worte einer Mutter gewesen. Es waren die Worte eines Machtmenschen, und auf einmal war er sich seiner Sache sicher. Eveline hatte mit dem alten Bettlach über den Fall gesprochen. Er redete schnoddrig weiter: »Eine Berufung? Auch dann sind es schnell einmal drei, vier Jahre, die sie in irgendeinem Loch verbringt – unschuldig, wie Sie mir glauben machen wollen. Ich schaue mir zweimal die Woche die Namen der Leute an, die Doris besuchen. Sie stehen auch drauf – wissen also, wie charmant es dort zugeht.«
Sie nickte.
»Die Jahre zwischen zwanzig und dreißig zählen doppelt, Frau Marchand. Sie werden mir da sicher Recht geben. Und wenn man sie im Gefängnis verbringt, vielleicht dreifach … ich weiß nicht.«
»Wir werden klagen … auf Schadenersatz.« Es klang hilflos, und der Kommissar sah, dass sie den Tränen nahe war.
»Dazu müssen Sie zuerst den Prozess gewinnen, und selbst dann … was bekommen Sie zurück, Geld?«
Eveline schwieg, hielt den Blick auf ihren Tee gerichtet, von dem sie nicht einen einzigen Schluck getrunken hatte.
»Wenn Doris aus Dielsdorf wieder rauskommt«, fuhr der Kommissar fort, »schuldig oder nicht, dann hat sie ihre Jugend verloren. Und glauben Sie mir, es ist am Ende völlig egal, ob zwei oder fünf Jahre. Sie wird nicht mehr dieselbe Frau sein. Eine junge Tanne, der man einmal die Spitze weghaut, wächst nie mehr gerade in den Himmel.«
Eschenbach spulte das ganze Programm ab,
Weitere Kostenlose Bücher