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Im Sommer sterben (German Edition)

Im Sommer sterben (German Edition)

Titel: Im Sommer sterben (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Theurillat
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oder hing der Haussegen schief? Er wäre gerne lautlos an ihr vorbeigehuscht, aber das ließen seine Schuhe nicht zu. Huschen war nicht drin, im Gegenteil. Es flutschte, mantschte und knarzte an den Füßen wie in einer römischen Galeere. Er war sich nicht sicher, ob sich in seinem Rücken nicht doch noch ein Kopf drehte, Brauen sich hoben und ein Augenpaar ihm nachsah, als er stapfend in seinem Arbeitszimmer verschwand.
    Er hatte gerade die durchnässten Socken ausgezogen und sie über einen der Besprechungsstühle gehängt, als Elisabeth Kobler anrief.
    »Lief nicht schlecht, heute Morgen«, flachste er zur Begrüßung und zog eine Brissago aus der Kartonschachtel.
    »Hm …« Mehr sagte seine Chefin nicht.
    Eschenbach schob den Zigarillo wieder zurück in die Schachtel und wartete. Schweigen verhieß bei Kobler nichts Gutes.
    »Warum behelligen Sie Hottiger?«, kam es im Tonfall Giftklasse vier.
    »Ich habe sie verhört, vorgestern. Immerhin war sie mit dem Toten befreundet …«
    »Ich meine den Vater, nicht die Tochter«, unterbrach ihn Kobler unwirsch.
    »Den Vater …« Eschenbach überlegte. »Herrgott, den haben wir noch nicht verhört. Der ist doch gar nicht hier!«
    »Eben!«
    »Der hockt in Amerika … an irgendeiner Universität, soviel ich weiß. Also bitte …«
    »Also bitte was?« Das Trommeln ihrer Finger auf dem Schreibtisch war nicht zu überhören.
    »Ich meine, wie sollen wir den behelligen … in Amerika?«
    »Regierungsrätin Sacher hat mich soeben angerufen; wollte wissen, weshalb wir Ernst Hottiger belästigen.«
    »Belästigen!« Eschenbach lachte auf. »Wir haben ein paar Angaben überprüft, sonst nichts.«
    »Haben Sie mit ihm persönlich gesprochen?«, wollte Kobler wissen.
    »Nein. Jemand vom Informationsdienst hat mit dem Dekan der Universität dort telefoniert.« Eschenbach versuchte sich vergeblich an den Namen des Instituts zu erinnern. »Und mit dem Sekretariat ebenfalls. Hottiger ist tatsächlich dort, kommt für die Tat also nicht in Frage. Das ist alles.«
    »Es wäre vielleicht gut, wenn Sie ihn anrufen und sich bei ihm entschuldigen würden. Sie wissen, er berät die Regierung in Sicherheitsfragen … wir arbeiten gut mit ihm zusammen.«
    »Entschuldigen?! Wofür denn, um Himmels willen?« Eschenbach wurde laut. »Dass wir unseren Job machen? Ich kann doch nicht einfach einen außen vor lassen, nur weil er mit der Regierung zusammenarbeitet, Hottiger heißt oder der liebe Gott ist. Das ist Routine, verdammt noch mal!«
    »Ich weiß«, kam es von Kobler ruhig. »Ich will ja auch nicht Ihre Arbeit kritisieren. Ich wäre nur froh … ach, Sie wissen schon.«
    Eschenbach atmete tief durch.
    »Und für das nächste Mal: Bitte informieren Sie mich, bevor Sie solche gewagten Aktionen unternehmen.«
    »Gewagte Aktionen«, grummelte Eschenbach.
    »Und denken Sie daran, ihn anzurufen … ja?«
    Der Kommissar schwieg eine Weile; dann verabschiedeten sie sich.
    Die Post und zwei Zigarillos hatte Eschenbach durch. Auch die zwei Dutzend E-Mails waren gelesen und teilweise beantwortet. Es war nichts Überwältigendes dabei. Ein vertrauliches Dossier über ausgebildete Scharfschützen, zwei Geständnisse von irgendwelchen Wirrköpfen und ein Pressespiegel mit den bisherigen Berichten über den Mord. Das war alles, was den Fall Bettlach betraf; der Rest war Beamtenkram. Berichte, die hinund hergeschoben, aufgehoben und wieder neu verfasst wurden. Abhandlungen zu Gesetzesrevisionen und deren Konsequenzen im Vollzug. Eintritte, Austritte und Übertritte. Ein Hinweis, dass die Kantine nun doch erneuert würde. Ein Bon für Kuchen. Ein Bon für Salat und noch einer für Kaffee. Er hätte am liebsten gleich alle eingelöst. Aber die Renovation stand erst bevor, und auf den Bons war zu lesen: Einzulösen am 23. September . Er warf sie in den Papierkorb und fragte sich, ob es tatsächlich Leute gab, die sich den dreiundzwanzigsten im Kalender vormerkten und die Bons behielten. Oder rechnete man damit, dass man sie nicht aufbewahrte? War das der Plan? Spekulierte man darauf, dass man sie wegwarf oder, auch wenn man sie behielt, in drei Monaten gar nicht mehr fand?
    Eschenbach kramte sie wieder aus dem Papierkorb und legte sie zuoberst auf den großen Haufen mit Papier, um den sich Rosa Mazzoleni kümmern würde. Sie erledigte alles, was den Beamtenseelen um ihn herum auf dem Herzen lag. Das ganze Hin- und Herschieben von Papier und nochmals Papier. Das Einordnen, Aufbewahren und das

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