Im Sommer sterben (German Edition)
selbst. Er wusste nicht, was in ihn gefahren war. Dann kamen ihm die Videos in den Sinn, die er Bucher gestern mitgegeben hatte. »Und bei Ihnen? Hatten Sie schon die Gelegenheit, das Material zu sichten?«
»Ja, deshalb rufe ich an.«
»Und?« Eschenbach war es peinlich, dass er nicht gleich am Anfang danach gefragt hatte, dass es ihm erst jetzt einfiel.
»Wollen Sie mich veräppeln?« Es klang ganz nach Vorwurf.
»Nein, überhaupt nicht. Wie kommen Sie darauf? Ich hoffe, Sie hatten keine Unannehmlichkeiten meinetwegen …«
»Unannehmlichkeiten? Ich hatte überhaupt keine Unannehmlichkeiten. Ich hätte gerne welche in Kauf genommen. Aber da war nichts. Auf den Videos ist nichts drauf!«
Eschenbach schwieg. Er konnte nicht glauben, was er soeben gehört hatte. Wenn es optische Täuschungen gab, dann gab es sicher auch akustische. Vielleicht hatte er ihn falsch verstanden, oder er sich ungeschickt ausgedrückt. Oder die Leitung. Vielleicht lag es an der Übermittlung. Ein Defekt in der digitalen Sprachübertragung. Den Hall von Buchers gedämpfter Stimme noch im Ohr versuchte er sich an den genauen Wortlaut zu erinnern.
»Sind Sie noch da?«
»Ja. Entschuldigen Sie. Aber ich begreife nicht ganz, was Sie mir da gerade sagen. Nichts drauf auf den Bändern, sagten Sie?«
»Null und nichts. Kein Kinderporno, kein normaler Porno, rein gar nichts. Auch keine Tagesschau, Sitcom oder Sesamstraße. Die Bänder sind leer. Unbespielt.« Es klang so, als wäre Bucher erleichtert, dass man ihm doch keinen Streich gespielt hatte.
»Sind Sie sicher?«
»Herr Eschenbach! Sie brauchen keine Leute mit ETH-Abschluss, um zu sehen, dass auf diesen Bändern verdammt noch mal nichts drauf ist. Das hätten Sie auch ohne mich herausfinden können. Das kann heutzutage jede Hausfrau.«
»Aber ich habe sie doch …«, der Kommissar stockte.
»Sie haben überhaupt nicht reingeschaut … ist es das, was Sie mir sagen wollen?«
»Ja … das heißt nein. Ich hab’s irgendwie nicht fertig gebracht. Tut mir Leid.« Eschenbach biss sich in die Unterlippe.
»Sie geben mir Bänder mit, von denen Sie zwar annehmen, dass etwas drauf ist, es aber gar nicht wissen. Gar nicht wissen konnten. Hat denn sonst jemand … ich meine jemand von Ihren Leuten, die Bänder gecheckt?«
»Ich weiß es nicht.« Er dachte an Doris Hottiger. Aber sie war keine von seinen Leuten. Dann die Leute von der Spurensicherung. Die mussten sich die Dinger doch angeschaut haben – wenigstens Stichproben.
»Das darf doch gar nicht wahr sein … jetzt wissen wir nicht einmal, ob überhaupt je etwas drauf war. Ich glaub’s einfach nicht!«
Eschenbach schwieg.
»Haben Sie noch weiteres Material?«
»Ja. Einen PC.«
»Gott sei Dank. Dann schauen Sie ihn sich an. Jetzt gleich.« Eschenbach zögerte.
»Sie werden nicht drum herumkommen. Glauben Sie mir. Sie werden in den nächsten Monaten noch so viel Schweinkram beschlagnahmen, dass sie daran fast krepieren …«
»So schlimm?«
»Kommt auf Sie an. Mich verfolgen die Bilder manchmal bis in den Traum, wache schweißgebadet auf. Meine Frau sagt, sie hält es bald nicht mehr aus … sie ist ins Gästezimmer gezogen. Haben Sie jemanden, der Ihnen mit dem PC hilft?«
»Ja. Ich werde schon jemand finden.«
»Tun Sie das. Sonst rufen Sie mich noch einmal an.«
»Okay.«
»Und stehen Sie dabei, wenn’s gemacht wird. Sie können keinem trauen. Auch nicht bei der Operation Genesis . Vor allem dort nicht. Sie haben ja gesehen, was für Leute auf der Liste stehen. Einige davon haben viel Geld und Einfluss. Sehr viel Geld sogar … und Macht. Passen Sie auf.«
»Werde ich.«
»Tut mir Leid, wenn ich etwas aufgebracht war, aber …«
»Schon gut. Es scheint, ich hätte es verdient.«
Eschenbach legte auf und sah zu Jagmetti, der ihm schweigend gegenübersaß und an seiner genähten Lippe herumfingerte. »Bänder weg, Hottiger weg … alles weg. Eine richtige Scheiße ist das!«
15
»Das ist jetzt schon das zweite Mal, dass wir unnötig verlieren. Hast du nicht gemerkt, dass Gabriel seine Herzen alle gegeben hat?« Christian Pollack zündete sich genervt eine Marlboro an. Er war achtundvierzig, hatte schütteres Haar und eine gut gehende Anwaltskanzlei. Aber er hatte das außerordentliche Pech, an diesem Abend Eschenbachs Partner zu sein. »So schlecht hast du schon lange nicht mehr gespielt. Wenn das so weitergeht, kostet mich das ein Vermögen.«
Eschenbach verzichtete auf eine Verteidigung und zählte
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