Im Sommer sterben (German Edition)
einer Zeitungstante zu unterhalten.
»Marianne Felber«, sagte sie freundlich und zog eine kastanienbraune Haarsträhne hinters Ohr. »Ich schreibe fürs Zürcher Tagblatt .«
»Ich weiß«, brummte Eschenbach. »Die Exekution auf dem Golfplatz.« Er hob die Augenbrauen. »Sind Sie neu?«
»Wieso?«, fragte die Journalistin irritiert.
»Hm, nur so … ich habe Sie auf der Pressekonferenz zum ersten Mal gesehen.«
»Ach, deshalb. Ich dachte schon …«
»Ich habe jetzt keine Zeit«, unterbrach sie der Kommissar mürrisch.
Ein junger Mann in abgewetzten Jeans und einem schwarzen T-Shirt machte Fotos.
»Nur eine Minute.« Die Journalistin lächelte ehrgeizig.
Eschenbach fingerte in seinem Jackett nach einer Visitenkarte. »Kommen Sie morgen ins Präsidium.«
»Und dann gibt es zwei Minuten?«
»Von mir aus«, murmelte er und gab ihr die Karte.
Marianne Felber musterte das kleine, gräuliche Stück Papier mit dem Zürcher Kantonswappen und Eschenbachs Anschrift. »Sie sind Doktor?«, fragte sie erstaunt.
»Ich habe Jura studiert«, sagte er beiläufig. »Das hilft manchmal.«
»Und warum sind Sie dann Polizist und nicht Richter?«
Der Kommissar hielt einen kurzen Moment inne; dann sagte er höflich: »Ich muss jetzt wirklich gehen … bis morgen also.«
»Ehrenwort?« Die Journalistin zwinkerte ihm zu.
»Versprochen! Und rufen Sie an, bevor Sie kommen. Die Nummer haben Sie ja.«
»Okay, mache ich.«
17
Der Leichenschmaus war im großen Saal des Zunfthaus zum Rüden, nur ein Steinwurf vom Großmünster entfernt.
Das kurze Gespräch, das Eschenbach mit Johannes Bettlach auf dem Weg ins Zunfthaus führte, brachte nichts. Die Frage, ob sein Bruder in psychiatrischer Behandlung gewesen und ob ihm in der Zwischenzeit noch etwas eingefallen sei, tat dieser mit einem apathischen Kopfschütteln ab. Vom Aufenthaltsort Eveline Marchands wollte er ebenfalls nichts wissen. Es war die Arroganz eines mächtigen, alten Mannes, an dem die Fragen zerplatzten wie Seifenblasen an einer Hauswand.
Es hatte keinen Sinn – nicht jetzt, dachte er und verabschiedete sich, als sie vor dem Eingang am Limmatquai angelangt waren.
Gedankenverloren schlenderte Eschenbach die paar Schritte zur Münsterbrücke und überquerte die Limmat. Dann ging er im Schatten der Storchengasse hoch in Richtung Paradeplatz, durch die Waaggasse zum Zeughauskeller. Er liebte dieses alte Restaurant; die Hausmannskost, die es dort gab und das rustikale Interieur. Die meisten Gäste saßen draußen auf der Straße an Holztischen, die von mächtigen Sonnenschirmen überdacht waren. Drinnen war es angenehm kühl, und Eschenbach konnte sich einen Tisch aussuchen.
Er bestellte ein großes Bier und den Mittagslunch. Während er auf das Essen wartete, kritzelte er Strichmännchen auf einen Bierteller und dachte über den Fall nach. Die Schatten im Leben des Toten hatten sich in Nichts aufgelöst, und die Spuren waren verwischt. Warum glaubte er trotzdem an die Geschichte? Warum war er so sicher, dass Doris Hottiger ihm keinen Bären aufgebunden hatte? Sie, die bisher die Einzige war, die die Bänder und Bilder gesehen hatte?
Die Bänder, die er Bucher übergeben hatte, waren allesamt neu. Das hatte man ihm wie einem Lehrbuben eingehend klar gemacht. Warum also hatte er das nicht schon bei der Übergabe gemerkt? Der Grund war einfach: Sie hatten gar nicht wie neue ausgesehen; steckten lediglich in Kartonhüllen – ohne die übliche Zellophanverpackung.
Sieben vollständig ausgepackte, unbespielte Videokassetten, das war einfach nicht logisch. Es war geradezu offensichtlich, dass sie von jemandem ausgetauscht worden waren.
Beim PC genau dasselbe. Eine neue Festplatte. Alle Programme und Daten weg. Ein schwarzes Loch sozusagen. Und bei beiden, Videokassetten und PC, war es so inszeniert, dass man es einfach nicht übersehen konnte. Dabei hätte man es so viel raffinierter machen können. Warum tauschte man nicht einfach die Kinderpornos gegen stinknormale Sexvideos aus? Seit Beate Uhse gehörten sie zum Hausrat, wie Büchsenravioli und Flaschenöffner. Es wäre kaum aufgefallen.
Warum löschte man nicht einfach die sensiblen Daten auf dem PC und ließ den Rest stehen? Selbst ein neuer PC wurde heutzutage vorinstalliert und mit Betriebssystem und einer ganzen Litanei an Programmen, Bildern und Daten verkauft. Eine nackte Festplatte schrie geradezu nach Manipulation.
Je länger er darüber nachdachte, desto klarer wurde ihm, dass hier nicht einfach
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