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Im Sommer sterben (German Edition)

Im Sommer sterben (German Edition)

Titel: Im Sommer sterben (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Theurillat
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ist das ein Notfall. Hätten Sie das doch gleich gesagt.«
    »Wusste ja nicht, dass dies speziell geregelt ist … und jetzt?«
    »Die Notnummer hängt bei mir im Büro.« Der Feldwebel wischte sich mit dem Ärmel seines feldgrauen Hemdes den Bierschaum von der Oberlippe und wollte aufstehen; dann überlegte er es sich jedoch anders. Er rief quer durch das ganze Restaurant nach einem Soldaten, der allein an einem Ecktisch saß und telefonierte. »Das ist Koni, die Büroordonnanz. Die soll die Nummer rasch holen.« Als dieser keinerlei Regung zeigte, rollte der Feldwebel, der inzwischen doch aufgestanden war, Zunge und Lippen zu einer vulgären Fratze und ließ einen gellenden Pfiff los. »Hey, Koni! Daher!«
    Die Büroordonnanz, ein schlaksiger Typ, Mitte dreißig, mit blonden Locken, die – wie ein Ballen gepressten Strohs – von einem Haarnetz zusammengehalten wurden, erschrak und beendete sein Telefongespräch ohne einen weiteren Satz. Wäre er nicht zwischen Holzbank und Tisch eingeklemmt gewesen, er wäre auf der Stelle hochgeschossen, hätte die Hacken zusammengeschlagen und die Achtungsstellung eingenommen. Er zwängte sich aus seiner Ecke, nahm hastig das filzige Oberteil seiner Ausgangsuniform und den Gurt von der Bank und kam mit trippelndem Schritt in Richtung des Tisches, an dem seine Vorgesetzten Karten spielten.
    »Hol doch rasch den Zettel mit der Notfallnummer aus dem Kadizimmer«, raunzte der Feldwebel, der sich wieder hingesetzt hatte und die Karten, die er wie einen Fächer in der linken Hand hielt, nach Farben ordnete.
    »Ich gehe gleich mit«, verabschiedete sich Jagmetti, bei dem Erinnerungen an seine eigene Militärzeit wach wurden. Er wollte keine Minute länger als nötig in dieser trostlosen Umgebung verweilen.
    Wortlos überquerten die Büroordonnanz und Jagmetti den Kasernenplatz in Richtung Hauptgebäude. Es war ein fabrikähnlicher Flachdachbau, der aussah, als hätte man eine Schuhschachtel aus Beton hingeworfen und dann einfach liegen gelassen. Die breite Treppe, die zum Eingang führte, war an einigen Stellen ausgebessert worden. Die Mörtelflecken schimmerten in unterschiedlichen Grautönen und sahen aus, als hätte man überdimensionale Kaugummis auf den Stufen breit gewalzt.
    Die Doppeltür aus Glas trennte den Komplex in zwei gleiche Hälften. Links und rechts zogen sich, in zwei übereinander liegenden Reihen, kleine Fenster bis ans Ende der Frontfassade.
    Das Büro des Kompaniekommandanten lag im linken Teil des Gebäudes. Es war kleiner, als Jagmetti es sich vorgestellt hatte. Vier Holztische, die als Schulbänke in einem Klassenzimmer schon bessere Zeiten gesehen hatten, standen zusammengerückt in der Mitte des Raumes. Darum herum ein paar Stühle. In einer Ecke stapelten sich Militärkisten mit Büromaterial, und auf einem Klapptisch an der Wand befanden sich eine Faxmaschine und ein Kopiergerät.
    Eine Landkarte von der Region und diverse Einsatzpläne waren mit Reißnägeln an der Wand befestigt. Daneben eine weiße Magnettafel mit bunten Knöpfen und weißen A4-Blättern.
    Der Zettel, auf dem die Notfallnummer vermerkt war, hing oben links und trug die Überschrift »Befehl für Notfälle«. Daneben und darunter waren weitere Befehle: »Tagesbefehl«, »ABC-Schutzbefehl«, »Tenuebefehl«, »Ausgangsbefehl«. Auf einem Zettel stand: »Menüplan«. Jagmetti fragte sich, ob es nicht »Menübefehl« hätte heißen sollen. Er notierte sich die Nummer, unter der der Kommandant in »Notfällen« erreichbar war und hängte den Zettel wieder zurück an die Wand.
    »Bringe ich immer selbst mit, die Dinger.« Die Büroordonnanz, die bisher kein Wort gesprochen hatte, deutete mit einer linkischen Handbewegung auf die Magnetknöpfe, die wie große, runde Augen in grellem Rot, Gelb, Blau und Violett von der weißen Wand hinunterblickten. »Bringt ein wenig Farbe in die triste Bude«, meinte er. Sein verlegenes Lächeln brachte einen goldenen Schneidezahn zum Vorschein, der sich deutlich vom Rest seiner bräunlich verfärbten Zähne abhob. »Bei den Reißnägeln brechen mir immer die Fingernägel ab.«
    »Gitarre?«, fragte Jagmetti, dem die langen Fingernägel an seiner rechten Hand schon aufgefallen waren, als er die Bürotür aufschloss.
    »Endlich einmal einer, der drauf kommt.« Die Büroordonnanz schnalzte anerkennend mit der Zunge. »Die Typen hier haben ja keine Ahnung … Sie glauben nicht, was das jedes Mal für ein Theater ist. Von wegen Nägel schneiden und so.«
    »Und

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