Im Sommer sterben (German Edition)
dachte immer, du magst sie.«
»Nicht wirklich.«
»Aber?«
»Nichts aber. Ich schau sie mir halt manchmal an. Einfach so. Und wenn schon, Kathrin mag sie. Es ist mir lieber, sie schaut sich den Jauch an, als dieses dämliche Gequatsche bei Big Brother . Komm, sag’s mir schon. Irgendetwas rattert im Hintergrund. Bist du im Zug?«
Der Schaffner hatte mit einem Ruck die Tür des Abteils aufgerissen und hätte, da der Zug schräg in einer Kurve lag, fast das Gleichgewicht verloren.
»Ich muss nur kurz …« Eschenbach griff nach seiner Reisetasche. »Ich ruf dich gleich wieder an.«
Die Proteste von Corina verhallten ungehört in der toten Leitung, und Eschenbach kramte die Tickets hervor, die er in der Außentasche verstaut hatte.
»New York, Paris, Hongkong oder Tokio«, sagte er, als sie wieder miteinander verbunden waren.
»Sag nur nicht, du fährst nach Paris! Da wollten wir doch wieder einmal gemeinsam hin …«
»Das machen wir auch, versprochen. Wie bist du darauf gekommen?« Er spürte, dass sie enttäuscht war.
Sie hatten damals Paris auf ihrer Hochzeitsreise gemeinsam kennen gelernt. Bis in die frühen Morgenstunden hingen sie in den Bistros und Bars herum, lebten von Baguettes, vin rouge und Liebe. Statt in den Warteschlangen vor dem Louvre zwischen Tausenden von Touristen auf Einlass zu warten, stöberten sie in den kleinen Antiquitätenläden und besuchten die Galerien rund ums Museum. Der alte Breuer-Stuhl, den sie auf dem Flohmarkt bei der Porte de Clignancourt für stolze hundertfünfzig Francs gekauft hatten, stand heute noch in der Küche, neben dem Weinregal. Die Sitzfläche aus Korbgeflecht hing über die Jahre immer mehr durch, und als sie beide berechtigte Bedenken hatten, sie könnte reißen, verwendeten sie den Stuhl nur noch als Zeitungsablage. Sie waren beide abergläubisch, hatten die Reißfestigkeit des Materials als Symbol für die Festigkeit ihrer Beziehung gesehen, und achteten darauf, dass der Stuhl von größeren Belastungen verschont blieb.
19
»Schauen Sie sich die Leute genau an, Jagmetti; vor allem ihre Alibis«, hatte sein Chef gesagt und ihm die Liste mit den Scharfschützen in die Hände gedrückt.
Der junge Polizist rechnete mit zwei Stunden pro Militärstützpunkt und damit, dass die Leute verfügbar waren, wenn er käme: Er hatte sich gewaltig vertan.
Der Waffenplatz in Näfels war Nummer vier. Die beiden Tage zuvor war er in Landquart, Arth Goldau und Mollis gewesen.
Die Kaserne war wie ausgestorben, und es dauerte mehr als eine halbe Stunde, bis er den Feldwebel fand, der im Leuen mit drei Unteroffizieren Karten spielte.
»Das ist aber gewaltiges Pech. Die sind jetzt alle auf einer Übung. Kommen erst morgen Abend wieder zurück.«
Die Unteroffiziere bestätigten die Aussage mit einem Nicken, und Jagmetti schien es, als wären sie froh, nicht Teil dieser Übung zu sein.
»Kann man den Adjutanten …« Jagmetti musste auf der Liste nachsehen. »… Meierhofer wenigstens telefonisch erreichen?«
»Das wird schwierig.« Der Feldwebel sog Luft durch seine Vorderzähne und machte ein verbissenes Gesicht. »Die sind irgendwo in den Bergen am Herumballern. Wird schwierig.«
»Und übers Handy? Ich meine, irgendwie müssen die doch erreichbar sein.«
»Handys sind nicht erlaubt.« Die Antwort kam prompt, und die Unteroffiziere nickten im Gleichschritt. »Theoretisch wenigstens«, fügte der Feldwebel hinzu und nahm einen Schluck aus seinem Bierglas.
Jagmetti blickte ungläubig auf den Tisch, wo neben Schiefertafel, Kreide und mehreren Flaschen Bier vier Handys lagen.
Der Feldwebel, der seinen Blick bemerkt hatte, fügte hinzu: »Brauchen darf man es nur in der Freizeit. Da kann jeder machen, was er will.« Darin schienen Biertrinken und Zocken großzügig mit eingeschlossen zu sein.
»Und in den Bergen … ich meine, während der Übung, haben die dort auch Freizeit?«
»Keine Ahnung. Ich bin nur für den inneren Ablauf zuständig. Bis und mit Grenze Kaserne. Wenn sie weg sind, ist es dem Kadi seine Verantwortung. Und bis morgen Abend um acht ist das so.«
»Und wenn verdammt noch mal etwas passiert ist?« Jagmetti wurde ungeduldig. »Wenn man jemanden dringend benachrichtigen muss …« Er zögerte einen Moment. Dann fuhr er mit demselben Tonfall laut und deutlich fort. »Zum Beispiel ein Todesfall in der Familie oder so ähnlich?«
Der Unteroffizier, der gerade die Karten neu verteilen wollte, hielt inne und der Feldwebel sah zu ihm auf.
»Dann
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