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Im Sommer sterben (German Edition)

Im Sommer sterben (German Edition)

Titel: Im Sommer sterben (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Theurillat
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gottverdammte Seite lang, mit Foto eines dämlich grinsenden Kommissars vor dem Zürcher Großmünster.
    Es war kurz nach sieben Uhr, und es würde nicht mehr lange dauern, bis sie anriefen: das Militärdepartement, der eidgenössische Offiziersverein, der Sektionschef des Kantons Zürich und weiß der Geier, wer noch. Er blätterte in seinem Karteikasten und suchte die Telefonnummer der Zahnärztin, die bei Bettlachs Beerdigung neben ihm gesessen hatte.
    »Kann ich Ihnen einen Espresso bringen?«, flötete es durch den Lautsprecher. Das metallene Dröhnen und Pfeifen von Eschenbachs schlecht ausgesteuerter Gegensprechanlage konnte an diesem Morgen der fröhlichen Stimme von Rosa Mazzoleni nichts anhaben. Sie klang wie eine Engelsstimme in seinen Ohren.
    »Was für ein Wetter!« Frau Mazzoleni strahlte. »Im Radio haben sie gesagt, es wäre der heißeste Monat seit Menschengedenken.«
    »So, so. Und seit wann denken die Menschen?« Eschenbach dachte daran, dass er heute früh sein letztes frisches Hemd aus dem Schrank genommen hatte.
    »Seit 1540«, kam es wie aus der Pistole geschossen.
    »Aha. Und die alten Griechen? Wurde da noch nicht gedacht?«
    »Doch. Aber seit 1540 war es nicht mehr so heiß … im Durchschnitt, wurde gesagt.«
    »Wer erzählt solchen Unsinn?«
    »Einer im Radio … ein berühmter Klimaforscher hat das gesagt.«
    »Und warum sagt man, seit Menschengedenken ? Nicht ganz logisch, finde ich«, sagte Eschenbach und rührte mürrisch in seiner Mokkatasse.
    »Weil man erst seit 1600 die Temperatur misst«, entgegnete Rosa Mazzoleni und zupfte energisch am Träger ihres weiten Leinenkleides.
    Das Telefon klingelte.
    »Ich bin nicht da«, sagte Eschenbach und winkte ab.
    Rosa Mazzoleni hatte den Hörer schon abgenommen. »Einen Moment bitte.« Sie drückte die Hand auf die Muschel: »Das Militärdepartement.«
    Eschenbach schüttelte den Kopf.
    »Nein, der ist nicht da … keine Ahnung. Er ist den ganzen Tag in Meetings … ja, ich werde es ihm ausrichten.« Sie legte auf. »Unhöflicher Mensch!« Rosa Mazzoleni rollte die Augen.
    »Und warum misst man die Temperatur erst seit …«, fragte Eschenbach und tat so, als hätte es den Anruf gar nicht gegeben.
    »Weil das Thermometer erst dann erfunden wurde.« Sie lächelte selbstbewusst. »Wissen Sie übrigens, wer es erfand?«
    »Nicht schon wieder ein Quiz, Frau Mazzoleni.« Eschenbach schlürfte an seinem Espresso.
    »Wissen Sie es oder wissen Sie es nicht, Chef?« Sie rückte ihre Brille etwas tiefer und sah ihm über den Brillenrand streng in die Augen.
    Jetzt fängt die auch noch mit dem Chef an, dachte Eschenbach und seufzte. Dann sagte er trotzig: »Leonardo da Vinci!« Er wusste, dass er es nicht wusste und dass es falsch war. Aber er wollte ihr das Spiel nicht verderben.
    Wieder klingelte das Telefon.
    Rosa eilte hinaus ins Sekretariat, drückte auf einen Knopf und die automatische Bandansage erklang.
    »Leonardo da Vinci ist falsch«, rief sie und trippelte wieder zurück ins Büro; lächelnd wie eine Sphinx. »Sie haben noch einen Versuch!«
    »Herrgott, ich weiß es wirklich nicht. Seien Sie doch nicht so streng. Lassen Sie Leonardo gelten!«
    »Warum denn das?« Rosa Mazzoleni sah ihn empört an. »Sie wollen ja auch den richtigen Täter und nicht den falschen, oder?«
    »Aber Leonardo da Vinci hätte es sicher erfunden, wenn es nicht schon erfunden gewesen wäre.«
    »Eben. Alles kann er nicht erfunden haben, unser Leonardo.« Rosa Mazzoleni lächelte.
    »Wieso unser Leonardo?« Eschenbach wusste, was sie meinte und zwinkerte. »Sie sind Italienerin, nicht ich.«
    »Ich weiß. Ich meinte ja auch nicht uns zwei, sondern uns Italiener.«
    Wieder das Telefon und kurz darauf die Bandansage.
    »Dann sagen Sie mir jetzt, wer das Thermometer erfunden hat. Das war mit Sicherheit kein Italiener, oder?«
    »Doch!«, kam es triumphierend zurück. »Auch Italiener, was denn sonst.« Sie musste lachen und Eschenbach spielte den Verwunderten. »Galileo Galilei! Der hat es erfunden!« Sie räumte die leere Espressotasse auf das Tablett, nahm den Stapel Post aus dem Ausgangskorb und tänzelte in Richtung Tür. »Und Paris? Hat Ihnen mein Hotel gefallen?« Sie sagte es nicht schnippisch, auch nicht gehässig. Sie sagte es mehr zu sich selbst. Leise, und doch so laut, dass er es hören musste. Es war die Art, wie intelligente Frauen Männern wie Eschenbach zeigten, wo ihre Grenzen lagen. Der Kommissar wollte ihr nachrufen, aber da war die Tür schon

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