Im Sommer sterben (German Edition)
ins Schloss gefallen.
Eschenbach sah ihr genervt hinterher. Nie konnte er »Danke« sagen! Corina sagte immer, dass ein kleines »Dankeschön« ab und zu genauso schön wäre wie ein Strauß Rosen. Jetzt kam ihm das verdörrte Basilikum auf seiner Veranda in den Sinn, und er machte sich eine Notiz. Er würde es auswechseln, zusammen mit dem vertrockneten Rosmarinstrauch und der frisch angelegten Blumenschale, die neben der Verandatür stand und deren Grün einem Steppengras ähnlich sah. Der Rest hatte überlebt, wenn auch nur knapp.
Er drückte den Knopf der Gegensprechanlage und wartete einen Moment. Es kam nichts, und er wusste, dass er jetzt aufstehen, zur Tür hinaus und zu Rosa an den Schreibtisch gehen musste.
»Und das Hotel hat Ihnen wirklich gefallen?«, fragte sie, als der Kommissar neben ihr stand, wobei sie sich nicht davon abhalten ließ, einen Aktenstoß sorgfältig durchzublättern.
»Wunderschön. Klein, charmant, nahe beim Louvre. Wie Sie es mir beschrieben hatten. Waren Sie auch schon dort?«
»Nein, leider noch nicht. Freunde von mir gehen immer dort hin und schwärmen davon. Vielleicht gehe ich diesen Herbst.« Sie lächelte versöhnlich. »Natürlich nur, wenn ich ein paar Tage freibekomme …« Es war eine rhetorische Frage, auf die Eschenbach nicht weiter einging. Rosa Mazzoleni wusste, dass ihr Chef ihrer Reiselust, die immer nur ein paar Tage andauerte, noch nie im Wege gestanden hatte.
»Suchen Sie mir doch bitte die Nummer von Ewald Lenz raus. Ich denke, wir sollten uns den alten Hottiger etwas genauer ansehen.«
»Ist das der Vater der jungen Frau, die letzte Woche hier war?« Sie blickte vom Schreibtisch auf und warf einen interessierten Blick über ihren Brillenrand. »Ist das nicht …«
»Ja, der ›Schutzengel der Mächtigen‹«, unterbrach sie der Kommissar und setzte mit einem Lächeln noch hinzu: »Regierungsrätin Sacher wird ihre Freude haben.«
Rosa hob die Augenbrauen und fächerte sich mit ein paar A4-Blättern Luft ins Gesicht. »Der hier hatte keinen Schutzengel.« Sie gab ihm ein dreiseitiges Fax, auf dem das Foto eines Mannes abgebildet war. »Von der Kripo Basel. Ist hereingekommen, kurz bevor Sie nach Paris fuhren. Die haben jetzt auch ihren Mord dort. Selbstmord oder Mord. Ich glaube, die wissen es selbst nicht so recht …«
Eschenbach nahm das Fax, las kurz das Titelblatt und ging in Gedanken versunken ein paar Schritte in Richtung seines Büros. »Ach ja, ist Jagmetti schon gekommen?«, rief er, ohne sich nochmals umzudrehen.
»Ich habe ihn noch nicht gesehen. Soll ich ihn hereinschicken, wenn er kommt?«
»Gerne.« Er schloss die Bürotür, setzte sich und las den Rest der Nachricht durch, die ihm Rosa Mazzoleni gegeben hatte.
Selbstmorde waren ihm grundsätzlich immer suspekt. Nicht nur, weil sie meistens auch Morde hätten sein können, sondern weil sie immer auch Morde waren. Ein Täter, eine Tatwaffe und ein Motiv. Unglückliche Liebe war ein häufiges Motiv. Und spätestens seit Romeo und Julia eines, das auch der einfache Mann verstand. Nur nach unglücklicher Liebe sah es hier nicht aus. Schließlich war es der Mann, der sich mit einer anderen vergnügt hatte; das behauptete jedenfalls die Freundin des Toten. Und aus schlechtem Gewissen bringen sich Männer nur in den allerseltensten Fällen selbst um.
Eschenbach las den Fall noch mal und dann noch ein drittes Mal. Es war die Aussage der Freundin, einer gewissen Hera De-Laprey, die ihn irritierte und die einen Selbstmord vehement in Frage stellte. »Pierre würde sich niemals selbst umbringen; eher würde er jemanden töten«, hatte sie zu Protokoll gegeben. Eine merkwürdige Aussage, fand Eschenbach. Und doch: Frauen kannten in der Regel ihre Männer – meist besser als umgekehrt.
Der Kommissar ertappte sich dabei, wie er ihre Perspektive einnahm und den Selbstmord auch stark anzweifelte. In seinen Augen machte es irgendwie keinen Sinn: Warum sollte sich ein erfolgreicher und über alle Maßen egozentrischer Musiker wie Pierre Oliver selbst umbringen? Und das nach einer Nacht mit einer Geliebten.
Wenn es tatsächlich Mord war, dann sah es ganz nach Profiarbeit aus. Keine Spuren von äußerer Gewalt, keine Zeugen – einmal abgesehen von der Geliebten, die plötzlich unauffindbar war. Es sah ganz danach aus, als wäre er exekutiert worden. Eschenbach stutzte. Es fiel ihm der Titel des Artikels wieder ein, den die junge Journalistin vom Zürcher Tagblatt über den Mord an Philipp Bettlach
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