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Im Sommer sterben (German Edition)

Im Sommer sterben (German Edition)

Titel: Im Sommer sterben (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Theurillat
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geschrieben hatte. Exekution auf dem Golfplatz . War es möglich, dass die beiden Morde – wenn es nun ein Mord wäre – etwas miteinander zu tun hatten? Exekutionen im Kindersexmilieu? Der Gedanke schien ihm zuerst absurd. Es fiel ihm schwer, sich einen Mann, der so wunderschön Querflöte spielen konnte, als Kinderschänder vorzustellen. Dann dachte er an die Namen auf der Liste. Wenn es Kantonsräte, Lehrer, Pastoren und Richter sein konnten, warum nicht auch Musiker?
    Je länger er darüber nachdachte, desto weniger absurd schien es ihm. Er nahm sich vor, seine Kollegen in Basel über die Hintergründe im Bettlach-Mord zu orientieren. Aber was wollte er sagen? Er hatte keine hard facts . Die Kindersex-Geschichte war bislang reines Hörensagen. Bettlach war weder auf der Genesis- Liste, noch hatte er sonst irgendwie einen handfesten Hinweis auf das, was sich schon als gesicherte Tatsache in seinem Kopf eingenistet hatte. Nach allem was Eveline Marchand und Doris Hottiger ausgesagt hatten, schien es sonnenklar, dass Bettlach ein Kinderschänder war – und doch, Beweise hatte er keine. Nicht einen einzigen. Sollte er sich bei seinen Basler Kollegen lächerlich machen?
    Eschenbach stand auf, bog sein Kreuz durch und ging die paar Schritte zum Aktenschrank. Er nahm den Genesis -Ordner hervor und blätterte darin. Die Liste der Namen bezog sich lediglich auf den Kanton Zürich; Pierre Oliver wohnte in Basel. Mit dem aufgeschlagenen Ordner in den Händen, ging er zurück zu seinem Schreibtisch und wählte die Nummer von Marcel Bucher beim Bundesamt für Polizei in Bern.
    Es war der Chefbeamte persönlich, der sich meldete.
    »Ich hoffe, ich störe Sie nicht«, sagte Eschenbach und räusperte sich. »Im Zusammenhang mit dem Mord, den ich hier habe … es würde vielleicht helfen, wenn ich Einblick in die Genesis- Akte des Kantons Basel haben könnte.«
    »Sie meinen die Namen?«
    »Ja, nur die Namen.«
    »Die finden Sie hinten auf der CD-ROM, alle Daten für die gesamte Schweiz.«
    »Aha.« Eschenbach blätterte nach hinten und fand das Mäppchen mit der Datendiskette.
    »Welchen Namen suchen Sie«, fragte Bucher.
    »Oliver – Pierre Oliver.«
    »Der Musiker?«, kam es nüchtern von dem Beamten.
    »Ja, haben Sie ihn?«
    »Einen Moment …«
    Eschenbach griff nach der Schachtel mit den Zigarillos, fand aber sein Feuerzeug nicht.
    »Basel-Stadt oder Basel-Land?«
    »Basel-Stadt«, sagte Eschenbach spontan. »Vielleicht beides … ich weiß es nicht.«
    Wieder verging eine Weile, und Eschenbach suchte unter Bergen von Akten, Klarsichtmäppchen und Zeitungen sein Feuerzeug.
    »Nichts, tut mir Leid.« Buchers Stimme klang freundlich. »Der Musiker ist clean.«
    »Schade …« Eschenbach holte Luft. »Wäre auch zu schön gewesen. Danke trotzdem.«
    »Schon gut, ist gern geschehen. Good luck anyway .«
    Sie verabschiedeten sich, und Eschenbach fragte sich, wie lange es wohl noch dauerte, bis Englisch zur fünften Schweizer Landessprache würde.
    Es wäre der perfekte Aufhänger gewesen. Rache als Motiv.
    Irgendwie hätte alles so gut zusammengepasst. Aber wenn es nicht Rache war, was war es dann? Zufall? Ein Irrtum oder doch Selbstmord? Eschenbach glaubte nicht an Zufälle – und an einen Irrtum schon gar nicht.
    Er hätte den Kollegen von der Basler Polizei seinen Verdacht gerne mitgeteilt. Polizeiarbeit darf nicht eitel sein . Es war einer seiner Lieblingssätze in seinen Vorlesungen. Doch wie die Sache lag, hatte er nicht ein einziges Indiz für seine Theorie. Keine Ahnung, warum ihm plötzlich einfiel, dass die Zürcher Grashoppers vor ein paar Wochen die Schweizer Meisterschaft im Fußball gewonnen hatten. Knapp vor den favorisierten Baslern. Wenn er also falsch läge, hätten sie wenigstens wieder etwas zu lachen am Rheinknie. Aber insgeheim hoffte er, dass er Recht behielt.

24
    Es war höchste Zeit, dass er Lenz anrief, um sich mit ihm über Ernst Hottiger zu unterhalten. Eschenbach wählte die Nummer vom Zentralarchiv. Die Leitung war besetzt.
    Was Lenz betraf, hätten ihm seine Intelligenz und Bildung längst eine gut bezahlte Stelle als Lehrer oder Forscher ermöglicht. Sein Problem war aber, dass er Menschen nicht sonderlich mochte und ihn alles Normale und Schöne dieser Welt nicht die Bohne interessierte. Hinzu kam, dass Ewald Lenz gelegentlich trank. Und zwar nicht so, wie man sich gelegentliches Trinken vorstellt. Lenz besoff sich. Er tat dies drei- bis viermal im Jahr, vorsätzlich und meist bis zur

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