Im Sommer sterben (German Edition)
Hottiger. Erfolgreicher Sportschütze, Mitglied im Schweizer Olympiakader 1960 in Rom.«
»Und der bildet immer noch Rekruten aus?«, unterbrach ihn Eschenbach.
»Nein. Nicht Rekruten. Elitetruppen. Muss einer der Besten in seinem Fach sein.«
»Was für ein Fach denn?« Eschenbach merkte, dass er zynisch klang, und es wurde ihm plötzlich bewusst, dass sein eigenes Bild vom Schweizer Militär schon längst verstaubt war. Anfang der neunziger Jahre – damals war er noch Oberleutnant bei den Übermittlungstruppen gewesen – hatte er auf eine weitere Armeezugehörigkeit verzichtet. Als Polizist war es ihm freigestellt. Er war damals Leiter der Kriminalanalyse bei der Stadt Zürich und mit Milena in Scheidung gewesen. Der alte Franz Locher hatte ihm seine Stellvertretung und spätere Nachfolge bei der Kripo des Kantons angeboten. Er akzeptierte, und die neue Aufgabe half ihm, über das Trümmerfeld seiner ersten Ehe einen dicken, pelzigen Moosteppich wachsen zu lassen.
»Psychologische Kriegführung bei Geiselnahmen, Sicherheits-Dispositionen, Terrorbekämpfung und das ganze Zeug. Da muss er ziemlich gut sein«, sagte Jagmetti. »Auch das Militär hat sich angepasst, Chef. Die nehmen jetzt immer mehr auch zivile Spezialisten.« Er musste Eschenbachs zynischen Unterton bemerkt haben, denn er fügte noch hinzu: »War für mich auch neu, Chef.«
»Ich weiß«, kam es grummelnd zurück. Eschenbach zündete sich eine Brissago an und musste husten. War er zynisch, weil das sein eigenes Fach war? War es die schwelende Eifersucht eines selbst ernannten Platzhirschen? Er trank den Rest der Cola aus und warf die leere Büchse quer durch das Abteil in Richtung Abfallbehälter. Natürlich verfehlte er ihn, wenn auch nur knapp.
»Hottiger hat ein eigenes Sicherheitsunternehmen. Ist eine ziemlich große Nummer.«
»Ich weiß«, murmelte Eschenbach. Er sagte es mehr zu sich selbst als zu dem jungen Polizisten, für den das alles Neuland war. »Ernst Hottiger ist die graue Eminenz in Sachen Sicherheit. Der Schutzengel der Reichen und Mächtigen bei uns im Lande.« Der Zynismus war aus Eschenbachs Worten gewichen. Jetzt klang es wie eine Mischung aus Anerkennung und Resignation. »Es gab in den letzten drei Jahrzehnten einige brisante Fälle, bei denen man munkelte, Hottiger habe seine Finger mit im Spiel gehabt. Mit oder ohne Einverständnis der Polizei, man hielt sich diesbezüglich bedeckt. Aber immer mit Erfolg. Sein Ruf reicht weit über die Schweizer Landesgrenzen hinaus, und er verfügt über ein internationales Netzwerk, das seinesgleichen sucht.«
Am anderen Ende der Leitung war Stille.
Eschenbach hob die Cola-Dose auf, die auf ihn zurollte; warf, und verfehlte den Abfallbehälter abermals. »Sind Sie noch da, Jagmetti?«
»Ja klar, Chef«, meldete sich Jagmetti wieder. »Ist ja interessant, was Sie da gerade erzählt haben …«
»Wenn der Erste Sekretär der Amerikanischen Botschaft – besser bekannt als der oberste Chef des FBI – die Schweiz besucht, dann spricht er zuerst mit Hottiger«, fuhr Eschenbach fort. »Seine offizielle Residenz ist eine Suite im Grandhotel Schweizerhof … rund um die Uhr bewacht, wenn er hier ist. Aber er benutzt sie nur selten. Wir nehmen an, dass er sich bei Hottiger einquartiert. In seiner Villa am Sihlsee, von der nur wenige wissen, dass es sie überhaupt gibt.«
»Wusste ich auch nicht … ich meine, dass er dort wohnt«, kam es von Jagmetti, der eigentlich nur sagen wollte, dass er noch da war.
»Das können Sie auch nicht wissen … Wie gesagt, ziemlich diskret alles. Steht nirgends in der Zeitung.« Eschenbach hielt inne: Die einzigen Bilder, die er von Hottiger kannte, waren die des international erfolgreichen Sportschützen. Und die waren über vierzig Jahre alt. Danach war es still geworden um ihn; sehr still. Eschenbach versuchte, sich vorzustellen, wie er heute aussah. »Woher wissen Sie das mit Hottiger? Ich meine, das mit den Scharfschützenkursen?«
»Unterlagen. Irgend so eine Orientierung oder Befehl«, sagte Jagmetti. »Lag herum, in einer der Kasernen, die ich abgeklappert habe. Weiß nicht mehr genau. Müsste nachschauen.«
»Was?!« Eschenbach merkte, dass er laut geworden war. Am anderen Ende war es still. Er versuchte, sich zu beherrschen.
»Ich meine, Sie haben das einfach mitgehen lassen?«
»Nein, natürlich nicht, ich habe es …«
»Gestohlen?!«
»Nein.«
»Geschenkt bekommen?! Mit einer feldgrauen Schleife, und der Trompeter schmetterte
Weitere Kostenlose Bücher