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Im Sommer sterben (German Edition)

Im Sommer sterben (German Edition)

Titel: Im Sommer sterben (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Theurillat
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drohte, ebenfalls.
    Der Fahrtwind, der durch die offenen Fenster ins Innere des Wagens wehte, wurde schwüler, und seine Müdigkeit, die vorher wie weggeblasen schien, schlich sich wieder ein. Er verstaute sein Mobiltelefon in der Hosentasche, zündete sich eine Brissago an und drehte das Radio auf. What a Wonderful World schepperte Louis Armstrongs belegter Bass aus den alten Lautsprecherboxen, und Eschenbach wünschte, dass es so wäre.

29
    Sie saßen am runden Besprechungstisch in Eschenbachs Büro. Jagmetti brachte auf einem Tablett Espressi, Biskuits und Mineralwasser.
    »Das ist jetzt also das Büro eines Hauptkommissars«, sagte Schwester Claudia, und ihr Blick kreiste durch den Raum. »Sieht ganz anders aus als im Fernsehen.«
    »Das ganze Leben ist anders als im Fernsehen.« Der Zivilstandsbeamte, der eine bunte Fliege trug, schien zu wissen, wovon er sprach. Er hatte sich als Elmar Gabathuler vorgestellt. Für Eschenbach schien er einer jener Menschen zu sein, die trotz – oder war es vielleicht wegen? – ihrer ernsten und wehmütigen Seele immer heiter und froh wirken wollten.
    Eschenbach ließ seinen Gästen Zeit. Er bedankte sich für ihr Erscheinen und wartete, bis sich die anfängliche Nervosität in ihren Gesichtern und Gesten gelegt hatte. Er dachte darüber nach, ob er ihnen die Fotos nicht besser getrennt zeigen sollte.
    Er wusste nicht, was ihn davon abhielt. Hoffte er, dass die beiden sich gegenseitig inspirierten; wenn einer sich erinnerte, der andere mitzog? Wollte er damit seine Chance erhöhen, dass er mit seiner Vermutung Recht bekam? Spekulierte er darauf, dass sie sich zu zweit sicherer fühlten, wenn es unsicher wurde? Wie suggestiv war Polizeiarbeit überhaupt?
    Eschenbach fragte sich, wie sich Menschen an ein Gesicht erinnern sollten, das sie vor zwanzig Jahren einmal gesehen hatten. Ein Gesicht unter Tausenden. Eine Eheschließung und eine Geburt pro Woche ergab in zwanzig Jahren zweitausendundachtzig für jeden. Das ging noch, fand er und stellte sich vor, wie viel neue Gesichter er sah: in einer Woche, einem Monat. In zehn, zwanzig, dreißig Jahren. In Sitzungen und Gesprächen; bei Vor- und Einladungen. Auf Festen und bei Festnahmen. Bei Ab-, Über- und Ausführungen. Eschenbach hörte auf zu zählen. Es würde die Zahl verzehnfachen. Wie soll sich nun jemand unter zehntausend Gesichtern an das eine oder andere erinnern? Er musste unweigerlich an Lenz denken und nahm sich vor, ihn morgen zu besuchen.
    Eschenbach legte die drei Fotos, für die er sich entschieden hatte, zwischen Schwester Claudia und Gabathuler auf den Tisch. »Ist das die Frau?«, fragte er. »Kennen Sie sie?«
    »Ja, das ist sie!«, kam es ohne zu zögern von Schwester Claudia. »Frau Matter, die Frau, von der wir heute Morgen sprachen. Lebt sie denn? Auf dem Bild scheint sie älter zu sein, und ihr Haar ist kürzer.«
    Eschenbach blieb ohne Regung. Er sah schweigend zu Gabathuler, der nervös an seiner Fliege nestelte.
    »Meinen Sie wirklich?« Der Zivilstandsbeamte war verunsichert und blickte hinüber zu Schwester Claudia. Wie ein Schüler, der nicht recht wusste, ob das, was ihm sein Nachbar einflüsterte, auch wirklich die richtige Antwort war. Er nahm die drei Bilder in die Hand und sah sie, eines nach dem anderen, genau an. Er nickte. »Es könnte schon sein, obwohl …« Wieder fingerte er an seiner Fliege, als gäbe sie ihm Halt. »Die junge Frau hatte doch …«
    »Blondes, langes Haar«, unterbrach ihn Schwester Claudia. »Und hier hat sie dunkles Haar und trägt es kürzer. Das habe ich auch bemerkt. Aber schauen Sie.« Die Krankenschwester zeigte mit dem Finger auf das zweite Bild. »Hier, die Grübchen in ihrer Wange, das markante Kinn, und da …«, wieder schien sie etwas zu entdecken, von dem sie glaubte, es schon einmal gesehen zu haben. »Ihre Augen …. Und die Falten in ihrer Stirn, wenn sie lacht, wie hier auf dem Foto.«
    Sie nahm ein Bild nach dem anderen in die Hand, betrachtete sie schweigend und sagte dann: »Sie hat traurige, verletzliche Augen.« Und nach einer kurzen Pause: »Doch, das ist Eva Matter, daran besteht überhaupt kein Zweifel!« Sie sah Eschenbach an, trotzig, als wäre sie bereit, für ihre Überzeugung zu kämpfen. »Und wissen Sie was, Herr Kommissar?«, fügte sie noch hinzu: »Sie haben fast dieselben Augen.«
    »Also, ich weiß nicht recht.« Gabathuler, der bolzengerade auf seinem Stuhl saß und die Finger gegeneinander presste, war nicht wohl in seiner Haut.

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